Dr. Michael Nugel, Sebastian Gutt
Rz. 306
Kann nicht geklärt werden, ob dem Geschädigten ein günstigerer Tarif in zumutbarer Weise möglich war, steht dem Geschädigten die Möglichkeit offen, darzulegen und zu beweisen, dass der von ihm gewählte Tarif einen erforderlichen Aufwand zur Schadensbeseitigung darstellt. Der Geschädigte ist gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlichsten Weg und damit das günstigste Mietwagenangebot zu wählen. Ein Unfallersatztarif begründet nur dann einen erforderlichen Aufwand zur Schadensbeseitigung, wenn die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation einen gegenüber dem Normaltarif höheren Preis aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfertigen.
Rz. 307
Teilweise waren die Instanzgerichte dazu übergegangen, den Geschädigten bzw. einem Mietwagenunternehmen, welches aus abgetretenem Recht vorgeht, aufzuerlegen, die konkreten Berechnungsgrundlagen für den betroffenen Unfallersatztarif in Abgrenzung zu anderen Tarifen offen zu legen. Diese Rechtsprechung hat der BGH aber als zu weitgehend zurückgewiesen. Bei der Prüfung, ob ein Unfallersatztarif einen erforderlichen Aufwand darstellt, ist es nicht zwingend geboten, die Kalkulation des Vermieters nachzuvollziehen. Es ist vielmehr lediglich zu prüfen, ob spezielle Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte einen allgemeinen Mehrpreis rechtfertigen. Dabei kann es allerdings im Einzelfall erforderlich sein, dass vorgebrachte Argumente durch konkrete Berechnungen und Zahlen gestützt werden.
Rz. 308
Der Tatrichter kann sich dabei eines Sachverständigen bedienen. Er kann aber auch in Ausübung des ihm nach § 287 ZPO zustehenden Ermessens eine Schätzung vornehmen. Dabei ist es zulässig, den Normaltarif auf Grundlage des gewichtigen Mittels des "Schwacke-Mietpreisspiegels" im Postleitzahlengebiet des Geschädigten – ggf. mit sachverständiger Beratung – zu ermitteln. Die Ausübung dieses Schätzungsrechts ist zumindest dann geboten, wenn der Geschädigte kein Sachverständigengutachten als Beweis anbietet bzw. zur Einzahlung eines dafür benötigten Vorschusses nicht bereit ist. Selbst wenn das betroffene Mietwagenunternehmen nur einen einheitlichen Tarif anbietet, ist der Richter gehalten, diesen Tarif mit dem "Normaltarif" auf Grundlage des gewichtigen "Schwacke-Mietpreisspiegels" in Postleitzahlengebiet des Klägers zu vergleichen.
Rz. 309
Bzgl. der Erforderlichkeit eines höheren Mietpreises im Rahmen eines Unfallersatztarifs sind folgende fünf Argumente zu berücksichtigen, die einzeln oder im Zusammenspiel einen erforderlichen Aufwand begründen können:
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Ein Unfallersatztarif erfordert es aufgrund der zu jeder Stunde eintretenden Unfälle, dass ein 24-stündiger Notdienst eingerichtet wird. Dabei ist jedoch eine gleichmäßige Auslastung wie im Normalgeschäft nicht gewährleistet. |
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Angesichts der Möglichkeit eines Zusammentreffens einer Vielzahl an Unfällen ist ein größerer Fuhrpark als Bestand vorrätig zu halten. |
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Da Dauer und Beginn einer Reparatur bei der Anmietung im Regelfall nicht absehbar sind, kann aufgrund der unbestimmten Mietdauer kein Rabatt gegeben werden, sondern die ungewisse Länge der Mietzeit rechtfertigt einen besonderen Tarif. |
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Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Verwaltungskosten höher liegen, da eine ständige Verfügbarkeit, ggf. auch ein Bringservice, durch einen entsprechenden Personaleinsatz gewährleistet sein muss. |
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Zudem muss mangels eines Vorschusses und einer Sicherheit das Ausfallrisiko des Kunden mitfinanziert und eine entsprechende Absicherung über die höheren Erlöse aller Vermietungen aus einem Unfallersatztarif erreicht werden. Verfügt der Geschädigte über keine Kreditkarte, können ihm in der Regel zumindest die Vorfinanzierungskosten ersetzt werden, die ihm das Mietwagenunternehmen auferlegt und deren pauschale Abgeltung mit einem Aufschlag von 18 % auf den Mietpreis vom BGH für zulässig erachtet worden ist. |
Rz. 310
In der Rechtsprechung wird es vor diesem Hintergrund in der Regel als ausreichend erachtet, wenn der Geschädigte unter Bezugnahme auf die oben genannten Gesichtspunkte die wirtschaftliche Erforderlichkeit eines Aufschlags bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeug unmittelbar nach dem Unfallereignis begründet und es wird sodann ein prozentualer Aufschlag auf den Normaltarif zugesprochen. So hat der gerichtliche Sachverständige in dem Verfahren, das dem BGH Urt. v. 24.6.2008 (VI ZR 234/07, zfs 2008, 622) zugrunde liegt, aufgrund verschiedener in der Fachliteratur vertretener Ansichten und nach Überprüfung der Plausibilität der einzelnen Risikofaktoren einen Aufschlag von 15,13 % wegen spezifischer Sonderleistungen für erforderlich erachtet. Vor diesem Hintergrund wird in der Rechtsprechung i.d.R. auf die besagten 15 %, 20 %, 25 % oder gar 30 % geschätzt. Unzulässig ist es aber, zur Berechnung des erstattungsfähigen Mietwagentarifs auf die Nutzungsausfalltabelle von Sande...