Dr. Michael Nugel, Sebastian Gutt
1. Überblick
Rz. 160
Der Geschädigte ist ausnahmsweise berechtigt, den Fahrzeugschaden auf sog. Neuwagenbasis abzurechnen, wenn die Reparatur des Fahrzeugs zwar technisch möglich und wirtschaftlich vernünftig ist, sie dem Geschädigten aber nicht zugemutet werden kann. Dies ist der Fall, wenn ein absolut neuwertiges Fahrzeug einen erheblichen Unfallschaden erleidet. Durch die Abrechnung auf "Neuwagenbasis" soll der Geschädigte in die Lage versetzt werden, sich ein Neufahrzeug zulegen zu können.
Rz. 161
Bei dem Unfallfahrzeug kann es sich gleichermaßen um einen Pkw wie um ein Motorrad handeln. Bei Nutzfahrzeugen scheidet jedoch eine Neuwagenabrechnung grundsätzlich aus. Der vom Bundesgerichtshof sog. Schmelz der Neuwertigkeit spielt in diesem Fall keine Rolle, da es ausreicht, wenn solche Fahrzeuge ihren Zweck erfüllen – so z.B. bei einem Wohnwagen. Dass es sich bei dem Unfallfahrzeug um ein Leasingfahrzeug handelt, steht der Neuwagenabrechnung hingegen nicht entgegen. Auch bei einem privat und gewerblich genutzten Fahrzeug ist eine Abrechnung auf Neuwagenbasis möglich.
Rz. 162
Eine Abrechnung auf Neuwagenbasis ist an folgende drei Voraussetzungen gebunden:
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Es muss sich um ein neuwertiges Fahrzeug gehandelt haben. |
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Es muss ein erheblicher Fahrzeugschaden eingetreten sein. |
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Der Geschädigte muss ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug als Neuwagen angeschafft haben. |
2. Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs
Rz. 163
Während früher vertreten worden ist, dass eine Abrechnung auf Neuwagenbasis auch lediglich fiktiv erfolgen kann, hat der BGH nun entschieden, dass der Geschädigte, dessen neuer Pkw erheblich beschädigt worden ist, den ihm entstandenen Schaden nur dann auf Neuwagenbasis abrechnen kann, wenn er ein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft hat. Zur Begründung stellt der BGH darauf ab, dass der Geschädigte zu einer solchen Abrechnung, welche zu seinen Gunsten die Opfergrenze überschreitet, nur dann berechtigt ist, wenn er ein schützenswertes Integritätsinteresse nachweist. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein gleichwertiges Neufahrzeug angeschafft wird.
Rz. 164
Mit dieser Entscheidung des BGH dürfte die in der Praxis immer wieder vorkommende Intention des anwaltlich beratenden Geschädigten, einen "Deal" mit dem gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherer zu erzielen, bei dem auf eine Neupreisentschädigung gegen Zahlung eines "Aufschlags" verzichtet wird, an Bedeutung verlieren. Für eine Neuwagenabrechnung muss der Geschädigte die Anschaffung eines fabrikneuen und gleichwertigen Ersatzfahrzeugs nachweisen. Eine bloße unverbindliche Order oder auch ein ggf. aufhebbarer Kaufvertrag als allein schuldrechtliche Verpflichtung dürften hierfür im Zweifel nicht genügen. Im Fall der 130 %-Abrechnung wird ja auch eine über den Reparaturauftrag hinausgehende tatsächliche Reparatur vorausgesetzt. Im Übrigen hat der BGH zutreffend darauf hingewiesen, dass ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug beschafft werden muss. Die Anschaffung irgendeines – nicht dem beschädigten Fahrzeugtyp entsprechenden – Ersatzfahrzeugs dürfte nicht genügen. Auch bei der Fallgruppe der 130 %-Rechtsprechung wird die Aufrechterhaltung des ursprünglichen Zustandes durch eine Reparatur gemäß Gutachten vorausgesetzt und keine "günstigere alternative Reparatur" akzeptiert.
Rz. 165
Muster 8.46: Nachweis der Anschaffung eines Neufahrzeugs bei der Neuwagenabrechnung
Muster 8.46: Nachweis der Anschaffung eines Neufahrzeugs bei der Neuwagenabrechnung
Der Geschädigte, dessen neuer Pkw erheblich beschädigt worden ist, kann den ihm entstandenen Schaden nur dann auf Neuwagenbasis abrechnen, wenn er ein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft hat (BGH, Urt. v. 9.6.2009 – VI ZR 210/08 = NJW 2009, 3022). Dies setzt nicht nur voraus, dass das ausgewählte Ersatzfahrzeug als Neufahrzeug gleichwertig ist. Vielmehr kann nur bei der tatsächlich erfolgten Anschaffung ein besonderes Integritätsinteresse angenommen werden. Eine bloße, ggf. sogar nur unverbindliche Bestellung genügt nicht. Dies zeigt bereits der vom BGH selber vorgenommene Vergleich zu dem Nachweis eines schützenswerten Integritätsinteresses im Rahmen "130 %-Rechtsprechung": Dort ist die tatsächliche Vornahme einer Reparatur erforderlich, um das Integritätsinteresse zu begründen (vgl. BGH, Urt. v. 1...