Rz. 50

Der Geschädigte muss den tatsächlichen Willen haben, ein Fahrzeug zu nutzen. Ein solcher Wille ist nach der Lebenserfahrung bis zum Beweis des Gegenteils durch den Schädiger zu unterstellen (OLG Celle VersR 1973, 717; OLG Düsseldorf DAR 2006, 269).

 

Rz. 51

Einen solchen vor dem Unfall vorhandenen Willen kann der Geschädigte jedoch z.B. unfallbedingt ("… habe seitdem Angst vorm Autofahren …") oder aus anderen Gründen (z.B. altersbedingt oder aus finanziellen Gründen) aufgegeben haben.

 

Rz. 52

Das zeigt sich aus Sicht der Versicherer meist daran, dass er sein Fahrzeug nicht mehr reparieren lässt bzw. verkauft und kein neues Fahrzeug mehr anschafft. Der Nutzungswille sei also offenkundig nicht (mehr) gegeben, wenn der Geschädigte ganz, für immer oder jedenfalls bis auf weiteres auf eine Reparatur des Fahrzeugs oder eine Ersatzbeschaffung verzichtet.

 

Rz. 53

Es ist jedoch bereits grundsätzlich fraglich, ob derjenige, der zum Unfallzeitpunkt offenkundig ein Kfz gefahren hat, das nun unfallbedingt nicht mehr fahrfähig ist, den weitergehenden Nutzungswillen überhaupt noch darlegen und beweisen muss oder ob dieser angesichts der zuvor tatsächlich stattgefundenen Nutzung indiziert ist (letzteres OLG Düsseldorf VersR 2019, 1237; LG Nürnberg-Fürth DAR 2000, 72; LG Kaiserslautern DAR 2013, 517; AG Heilbronn SP 1999, 381; AG Berlin-Mitte SP 1999, 382). Es wäre dann Aufgabe des Schädigers, den Nachweis zu führen, dass der Geschädigte seinen grundsätzlich stets zu unterstellenden Nutzungswillen (aus welchem Grunde auch immer) nunmehr aufgegeben hat.

 

Rz. 54

Darüber gibt es regelmäßig Streit mit den Versicherern, die ohne Neuanschaffungs- bzw. Reparaturnachweis den Ausgleich der Mietwagenkosten oder des Nutzungsausfallschadens verweigern. Nach der regelmäßig von den Versicherern vertretenen Auffassung ist der Nutzungswille stets durch eine Neuanschaffung (oder im Reparaturfalle: den Nachweis der Reparatur) zu dokumentieren (so auch OLG Hamm zfs 2002, 132).

 

Rz. 55

Dem Geschädigten ist es aber nicht anzulasten, dass er sich z.B. aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sieht, ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen oder die Reparatur vorzufinanzieren. Immerhin hätte der Geschädigte ohne den Unfall sein bisher genutztes Fahrzeug weiternutzen können (Gedanke der Naturalrestitution), d.h. bis zum Unfall lässt sich der Nutzungswille kaum bestreiten. Dieser grundsätzlich vorhandene Nutzungswille wird nicht dadurch beseitigt, dass der Geschädigte aufgrund des Unfalls kein Ersatzfahrzeug anschafft, denn hierfür kann es unterschiedliche Gründe geben (OLG Düsseldorf VersR 2019, 1237; KG VersR 2004, 1620 = NZV 2004, 470; OLG Düsseldorf NZV 2003, 379; OLG Stuttgart DAR 2000, 35; LG Braunschweig VersR 2006, 1139 = NZV 2006, 41). Dies ist inzwischen auch vom BGH ausdrücklich bestätigt worden, wonach "der Ersatzpflichtige für den vorübergehenden Verlust der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich auch dann eine Entschädigung zu leisten [hat], wenn sich der Geschädigte einen Ersatzwagen nicht beschafft hat" (BGH v. 10.6.2008 – VI ZR 248/07 – Rn 8, VersR 2008, 1086 = zfs 2008, 501).

 

Rz. 56

Es wäre wesentlich praktikabler, wenn in solchen Fällen der Nutzungsausfallanspruch – zumindest im Rahmen der Ausfallschätzung des Sachverständigen – ohne Neuanschaffungsnachweis gezahlt würde. Nur ganz wenige Versicherer verzichten aus Gründen der Reduzierung des Verwaltungsaufwandes auf den Nachweis und regulieren auf der Basis der Angaben im Sachverständigengutachten. Wenn der Nutzungsausfallzeitraum dann darüber hinausgeht, muss er allerdings unverändert nachgewiesen werden.

 

Rz. 57

Schafft sich der Geschädigte erst einige Zeit nach dem Unfall ein Ersatzfahrzeug an, beurteilt die Rechtsprechung die Frage aufgegebenen Nutzungswillens höchst unterschiedlich. Während einerseits die Auffassung vertreten wird, bei einem Erwerb eines Ersatzfahrzeugs erst mehrere Monate nach dem Unfall sei ein Nutzungswille offenbar aufgegeben worden (OLG Saarbrücken r+s 2018, 329; OLG Köln VersR 2004, 1332; AG Frankfurt zfs 2002, 339 mit Anmerkung von Diehl; Boetzinger, zfs 2000, 45), wird das durchaus auch anders gesehen: Erwirbt der Geschädigte ein anderweitiges Fahrzeug erst ein halbes Jahr nach dem Unfall, lässt dies keinen Schluss auf einen fehlenden Nutzungswillen zu (LG Oldenburg zfs 1999, 288; AG Stuttgart zfs 2002, 579). Die Erfahrung spricht auch in einem solchen Fall vielmehr dafür, dass ohne den Unfall ein entsprechender Nutzungswille vorhanden gewesen wäre.

 

Rz. 58

Aber auch ein Familienangehöriger, der noch nicht einmal über eine Fahrerlaubnis verfügen muss, kann einen Mitbenutzungswillen in der Form haben, als Beifahrer von dem unfallbedingt verletzt ausgefallenen Fahrer – wie zuvor auch stets – dorthin gefahren zu werden, wohin der Beifahrer (z.B. Ehegatte) auf seinen jeweiligen Wunsch hin gefahren werden möchte. Der Benutzungswille muss also keineswegs in der Person des Geschädigten selbst bestehen.

 

Rz. 59

War das Fahrzeug jedoch trotz eines Totalschadens n...

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