(a) Dreistufiges Prüfungsschema des BGH
Rz. 149
Aus der Rechtsprechung des BGH ergibt sich ein dreistufiges Prüfungsschema (Schneider, in: Berz/Burmann, Kap. 5 C Rn 29c f.):
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Der Geschädigte hat die objektive Erforderlichkeit des gegenüber dem Normaltarif höheren Tarifs darzulegen und ggf. zu beweisen. Dies bedeutet, dass die besonderen Leistungen des Unfallersatztarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (Vorfinanzierung, Verzicht auf Sicherheiten, Bring- und Abholservice etc.) zur Schadensbehebung erforderlich sind und aus betriebswirtschaftlicher Sicht den höheren Preis rechtfertigen (std. Rspr., z.B. BGH VersR 2005, 239; BGH VersR 2005, 231; BGH VersR 2005, 569; BGH VersR 2005, 850). |
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Auch wenn die objektive Erforderlichkeit des höheren Tarifs nach vorgenannten Kriterien nicht vorliegt, ist er dennoch zu erstatten, wenn dem Geschädigten unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnismöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war (std. Rspr., vgl. z.B. BGH VersR 2005, 850; BGH VersR 2005, 569; BGH VersR 2005, 568). |
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Trotz Feststellung der objektiven Erforderlichkeit auf der ersten Prüfungsstufe ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob die Schadensminderungspflicht einer Erstattungspflicht entgegensteht. Dies ist dann der Fall, wenn dem Geschädigten der Normaltarif, der einen geringeren Leistungsumfang als der Unfallersatztarif bietet, verfügbar und im Einzelfall zumutbar war (neuere std. Rspr., BGH VersR 2006, 564 = zfs 2006, 384; BGH VersR 2006, 1245; BGH VersR 2006, 1425 = zfs 2006, 682. m. Anm. Diehl; BGH VersR 2007, 515 = zfs 2007, 333; BGH VersR 2007, 706, 707; BGH VersR 2008, 1370, 1372 = NJW 2008, 2910). |
Rz. 150
Nach diesem dreistufigen Prüfungsschema liegt folglich eine Erstattungspflicht hinsichtlich des Unfallersatztarifs vor, wenn
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entweder eine objektive Erforderlichkeit (1. Stufe) festzustellen ist und zusätzlich der Normaltarif nicht verfügbar oder nicht zumutbar war (kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht entsprechend der 3. Stufe) |
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oder der Normaltarif dem Geschädigten in der konkreten Situation nicht zugänglich war (2. Stufe). |
(b) Offenlassen der Frage der objektiven Erforderlichkeit in der jüngsten BGH-Rechtsprechung
Rz. 151
In seinen neuesten Entscheidungen tendiert der BGH dazu, die Frage der objektiven Erforderlichkeit (1. Stufe) offen zu lassen, weil entweder dem Geschädigten der Normaltarif in der konkreten Situation nicht zugänglich war (2. Stufe) – dann besteht eine Erstattungspflicht unabhängig von der objektiven Erforderlichkeit – oder umgekehrt dem Geschädigten der Normaltarif zugänglich und zumutbar war (3. Stufe) – dann besteht keine Erstattungspflicht unabhängig von der objektiven Erforderlichkeit (BGH VersR 2006, 1425; BGH VersR 2007, 515 = zfs 2007, 333 = DAR 2007, 260 = NZV 2007, 232 = NJW 2007, 1123; BGH VersR 2007, 706 = r+s 2007, 342 = NZV 2007, 290 = DAR 2007, 328 = NJW 2007, 1676 m. Anm. van Bühren; BGH VersR 2008, 235 = zfs 2007, 497 = r+s 2007, 343; BGH VersR 2007, 1144 = r+s 2007, 345 = DAR 2007, 510 = NJW 2007, 2758; BGH VersR 2007, 1286 = zfs 2007, 628 = NZV 2007, 563 = DAR 2007, 699 = NJW 2007, 2916; BGH VersR 2007, 1577 = zfs 2008, 22 = r+s 2008, 37 = DAR 2007, 700; BGH VersR 2008, 1370 = zfs 2008, 622; BGH VersR 2016, 1071; vgl. Schneider, in: Berz/Burmann, Kap. 5 C Rn 29d).
Rz. 152
Der Hintergrund ist offensichtlich, da die Klärung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung durch Sachverständigengutachten einen für die gerichtliche Praxis nicht vertretbaren Aufwand verursacht. Nach Wagner, NJW 2007, 2149, 2150 ist sogar von einer Aufgabe des betriebswirtschaftlichen Kriteriums in der BGH-Rechtsprechung auszugehen. Die Praxis fokussiert sich daher zunehmend auf die Frage der subjektiven Zugänglichkeit und Zumutbarkeit des Normaltarifs.
Rz. 153
Grundsätzlich trägt die Beweislast für die ersten beiden Stufen des dreistufigen Prüfungsschemas der Geschädigte, für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht (3. Stufe) hingegen der Schädiger (Versicherer). Dies müsste an sich dazu führen, dass es wegen der Darlegungs- und Beweislast einen Unterschied macht, ob die subjektive Zugänglichkeit im Rahmen der 2. Stufe oder im Rahmen der Schadensminderungspflicht problematisiert wird.
Rz. 154
Allerdings relativieren sich die Darlegungsanforderungen des Versicherers auch im Rahmen der Schadensminderungspflicht dadurch, dass der BGH dem Geschädigten eine sekundäre Darlegungslast auferlegt. Soweit der Geschädigte keine Umstände vorträgt, "aus denen sich die Unzumutbarkeit schadensmindernder Maßnahmen ergibt", geht der BGH von einer Verletzung der Schadensminderungspflicht aus (BGH VersR 2007, 706, 707 = zfs 2007, 505 = r+s 2007, 342 = DAR 2007, 328). Nach einer neueren Entscheidung des BGH (BGH v. 14.10.2008 – VI ZR 308/07 – VersR 2008, 1706 = zfs 2009, 82) liegt sogar die vollständige Darlegungs- und Beweislast für die fehlende Zugänglichkeit eines günstigeren Tarifs beim Geschädigten.
Rz. 155
Im Ergebnis unterscheid...