Rz. 151
In seinen neuesten Entscheidungen tendiert der BGH dazu, die Frage der objektiven Erforderlichkeit (1. Stufe) offen zu lassen, weil entweder dem Geschädigten der Normaltarif in der konkreten Situation nicht zugänglich war (2. Stufe) – dann besteht eine Erstattungspflicht unabhängig von der objektiven Erforderlichkeit – oder umgekehrt dem Geschädigten der Normaltarif zugänglich und zumutbar war (3. Stufe) – dann besteht keine Erstattungspflicht unabhängig von der objektiven Erforderlichkeit (BGH VersR 2006, 1425; BGH VersR 2007, 515 = zfs 2007, 333 = DAR 2007, 260 = NZV 2007, 232 = NJW 2007, 1123; BGH VersR 2007, 706 = r+s 2007, 342 = NZV 2007, 290 = DAR 2007, 328 = NJW 2007, 1676 m. Anm. van Bühren; BGH VersR 2008, 235 = zfs 2007, 497 = r+s 2007, 343; BGH VersR 2007, 1144 = r+s 2007, 345 = DAR 2007, 510 = NJW 2007, 2758; BGH VersR 2007, 1286 = zfs 2007, 628 = NZV 2007, 563 = DAR 2007, 699 = NJW 2007, 2916; BGH VersR 2007, 1577 = zfs 2008, 22 = r+s 2008, 37 = DAR 2007, 700; BGH VersR 2008, 1370 = zfs 2008, 622; BGH VersR 2016, 1071; vgl. Schneider, in: Berz/Burmann, Kap. 5 C Rn 29d).
Rz. 152
Der Hintergrund ist offensichtlich, da die Klärung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung durch Sachverständigengutachten einen für die gerichtliche Praxis nicht vertretbaren Aufwand verursacht. Nach Wagner, NJW 2007, 2149, 2150 ist sogar von einer Aufgabe des betriebswirtschaftlichen Kriteriums in der BGH-Rechtsprechung auszugehen. Die Praxis fokussiert sich daher zunehmend auf die Frage der subjektiven Zugänglichkeit und Zumutbarkeit des Normaltarifs.
Rz. 153
Grundsätzlich trägt die Beweislast für die ersten beiden Stufen des dreistufigen Prüfungsschemas der Geschädigte, für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht (3. Stufe) hingegen der Schädiger (Versicherer). Dies müsste an sich dazu führen, dass es wegen der Darlegungs- und Beweislast einen Unterschied macht, ob die subjektive Zugänglichkeit im Rahmen der 2. Stufe oder im Rahmen der Schadensminderungspflicht problematisiert wird.
Rz. 154
Allerdings relativieren sich die Darlegungsanforderungen des Versicherers auch im Rahmen der Schadensminderungspflicht dadurch, dass der BGH dem Geschädigten eine sekundäre Darlegungslast auferlegt. Soweit der Geschädigte keine Umstände vorträgt, "aus denen sich die Unzumutbarkeit schadensmindernder Maßnahmen ergibt", geht der BGH von einer Verletzung der Schadensminderungspflicht aus (BGH VersR 2007, 706, 707 = zfs 2007, 505 = r+s 2007, 342 = DAR 2007, 328). Nach einer neueren Entscheidung des BGH (BGH v. 14.10.2008 – VI ZR 308/07 – VersR 2008, 1706 = zfs 2009, 82) liegt sogar die vollständige Darlegungs- und Beweislast für die fehlende Zugänglichkeit eines günstigeren Tarifs beim Geschädigten.
Rz. 155
Im Ergebnis unterscheidet sich in der praktischen Anwendung durch den BGH daher die Prüfung der subjektiven Zugänglichkeit auf der 2. Stufe sowie im Rahmen der Schadensminderungspflicht letztlich nicht, sodass für die Praxis von einer einheitlichen Voraussetzung der subjektiven Zugänglichkeit und Zumutbarkeit des Normaltarifs ausgegangen werden kann, von der die Erstattungspflicht eines höheren als des Normaltarifs allein abhängt (Schneider, in: Berz/Burmann, Kap. 5 C Rn 29d).