(1) Entscheidung des BGH 1996
Rz. 137
Der BGH hat diesen Meinungsstreit dann 1996 erfreulicherweise zunächst einmal beendet (BGH NJW 1996, 1958 = zfs 1996, 293 = DAR 1996, 314): Er hob das Urteil des OLG München auf, in dem noch die Ansicht vertreten wurde, die Erkundigungspflicht des Geschädigten entfalle nicht deshalb, weil ihm eine Mietwagenübersicht durch den Vermieter vorgelegt wurde (OLG München DAR 1995, 254 ff.).
Rz. 138
Das OLG München hatte zuvor die Erforderlichkeit der Mietwagenkosten begrenzt auf den dreifachen Nutzungswert der Nutzungsausfalltabelle Sanden/Danner/Küppersbusch.
Rz. 139
Als erforderliche Aufwendungen sind jedoch nach der Entscheidung des BGH diejenigen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für geboten halten durfte (BGH NJW 1985, 2637). Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt jedoch von dem Geschädigten nicht, zugunsten des Schädigers zu sparen oder sich so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte (BGH NJW 1992, 302).
Rz. 140
Deshalb ist eine subjektbezogene Betrachtungsweise anzustellen, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten, sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (so auch OLG Köln NZV 1997, 181; LG Osnabrück zfs 2004, 359). Der Geschädigte braucht sich bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs nur auf den ihm in seiner Lage ohne weiteres offenen Markt zu begeben.
Rz. 141
Selbst dann, wenn ein Unternehmen – in dem entschiedenen Fall sogar eine Versicherungsmaklerfirma – nach unfallbedingtem Ausfall eines Geschäftswagens ein Ersatzfahrzeug zum Unfallersatztarif anmietet, ist die Unternehmereigenschaft allein noch kein hinreichender Grund, das geschädigte Unternehmen auf günstigere Konditionen zu verweisen. Nur die konkreten Umstände des Einzelfalles, wie beispielsweise spezielle Kenntnisse und besondere Erfahrungen im Anmieten von Fahrzeugen nach einem Unfall, können im Einzelfall eine Erkundigungspflicht begründen (OLG Düsseldorf DAR 1998, 103).
Rz. 142
Der Geschädigte darf demnach zu einem Unfallersatztarif anmieten. Er braucht keine "Marktforschung" zu betreiben, um das preisgünstigste Mietwagenunternehmen ausfindig zu machen. Halten sich die Mietwagenkosten im Rahmen des Üblichen, sind sie vom Schädiger auch zu ersetzen. Nur dann, wenn die Mietwagenkosten für den Geschädigten erkennbar deutlich aus dem Rahmen des Üblichen fallen, ist der Schädiger nicht eintrittspflichtig (AG Oldenburg zfs 2000, 16 m. Anm. Diehl).
Rz. 143
Allerdings hat sich der BGH in diesem Urteil ausschließlich mit dem Rechtsverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem befasst. Auf die vertraglichen Ansprüche des Mieters gegenüber dem Vermieter ist diese Rechtsprechung hingegen nicht anwendbar.
Rz. 144
Die Korrektur überhöhter und ungerechtfertigter Unfallersatztarife erfolgt nach dieser Rechtsprechung ausschließlich durch die Pflicht des Geschädigten zur Abtretung seiner etwaigen Regressansprüche gegenüber dem von ihm ausgewählten Autovermieter an den Schädiger und seinen Versicherer. Der Vermieter haftete dann ggf. wegen Verletzung seiner Pflicht, den Mieter darüber aufzuklären, dass der Unfallersatztarif über dem Normaltarif liegt, zu dem der Geschädigte das Fahrzeug ebenfalls mieten könne (dann allerdings regelmäßig gegen vollständige Vorkasse bzw. Absicherung über eine Kreditkarte).
(2) Entscheidungen des BGH 2004/2005
Rz. 145
Dieser Grundsatz des BGH aus der Entscheidung aus dem Jahre 1996 kann jedoch nach den seit dem Jahre 2004 ergangenen Urteilen des BGH (BGH VersR 2005, 239 = r+s 2005, 41 = DAR 2005, 21 = NZV 2005, 32; BGH VersR 2005, 241 = zfs 2005, 75 ff. = r+s 2005, 43 = DAR 2005, 73 ff. m. krit. Anm. Reitenspiess; BGH VersR 2005, 568 = zfs 2005, 390 = r+s 2005, 217 = DAR 2005, 270 f.) keine uneingeschränkte Geltung mehr beanspruchen. Der BGH stellt in dieser jüngeren Rechtsprechung darauf ab, ob der so genannte Unfallersatztarif nicht mehr maßgeblich von Angebot und Nachfrage bestimmt wird, sondern durch weitgehend gleichförmiges Verhalten der Anbieter geprägt ist. Wenn also diese "Unfallersatztarife" erheblich über den "Normaltarifen" für Selbstzahler liegen – in dem entschiedenen Fall ging es immerhin um eine Erhöhung von 89 %; der BGH hatte 1996 lediglich über 25 % Unterschied zu entscheiden! –, dann kann aus schadensersatzrechtlicher Sicht der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag nicht ohne weiteres mit dem Unfallersatztarif gleichgesetzt werden. Deshalb ist zu prüfen, ob und inwieweit ein solcher Tarif seiner Struktur nach als erforderlicher Aufwand zur Schadenbeseitigung angesehen werden kann.
Rz. 146
Dies kann nur insoweit der Fall sein, als die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (Ausfallrisiko wegen unzutreffender Einschätzung der Haftungsquote durch den Geschädigten, Vorfinanzierungsaufwand) einen gegenüber dem Normaltarif höheren Preis aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfertigen...