Rz. 284

Bei Totalschäden gilt ebenfalls das zuvor Gesagte. Es gibt allerdings Besonderheiten im Hinblick auf die Wiederbeschaffungsfrist. Diese errechnet sich nämlich nicht nur aus dem von dem Sachverständigen in seinem Gutachten genannten Wiederbeschaffungszeitraum, sondern aus insgesamt drei Zeiträumen (vgl. oben Rdn 74):

Schadensermittlungszeitraum,
Überlegungszeitraum,
Wiederbeschaffungszeitraum.
 

Rz. 285

Der Schadensermittlungszeitraum errechnet sich ab Unfalldatum bis zum Erhalt des Sachverständigengutachtens (OLG Düsseldorf VersR 2019, 1237). Der Überlegungszeitraum kann je nach Fall zwischen drei (LG Wiesbaden zfs 1995, 215) und zehn Tagen (AG Gießen zfs 1995, 93) liegen, insbesondere, wenn ein Grenzfall zwischen noch sinnvoller Reparatur und wirtschaftlichem Totalschaden vorliegt, also z.B. eine Abrechnung nach der 130-%-Regelung in Betracht kommt. Üblich, angemessen und nicht zu beanstanden dürfte eine Überlegungsfrist von etwa fünf Tagen sein (AG Aschaffenburg zfs 1999, 103). Der Wiederbeschaffungszeitraum ergibt sich unter anderem aus dem Sachverständigengutachten.

 

Rz. 286

Es wird von Seiten der Versicherer immer wieder übersehen, dass der Nutzungsausfall stets und ausschließlich konkret nachgewiesen werden muss. Das bedeutet gerade nicht, dass er sich allein nach der im Sachverständigengutachten (ja nur) geschätzten Zeitdauer bemisst, sondern nach dem tatsächlich nachgewiesenen Umfang. Dagegen ist allein der Einwand des Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht zulässig, der aber dann auch noch bewiesen sein muss. Die Beweislast hierzu liegt also allein bei der Schädigerseite!

 

Rz. 287

Seitens der Versicherer wird immer wieder gern ein solcher Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht eingewandt, z.B. der Geschädigte habe sich nicht um die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens durch telefonische Nachfrage erkundigt. Der hierzu von dem Schädiger zu erbringende Nachweis fehlt aber regelmäßig, wird noch nicht einmal auch nur zu erbringen versucht, sondern schlichtweg lediglich behauptet. Der Geschädigte ist aber gerade nicht verpflichtet, sich zu entlasten.

 

Rz. 288

Versicherer versuchen auch immer wieder, den Schadensfeststellungs- und den Überlegungszeitraum zu ignorieren. Sie gewähren Nutzungsausfall lediglich nach den Angaben in dem Gutachten. Das ist eindeutig falsch, wie z.B. der nachfolgende Tipp zeigt.

 

Rz. 289

 

Tipp

Ein Blick in den Kalender erleichtert stets die korrekte Nutzungsausfallberechnung.

 

Beispiel

Unfalldatum: 13.4.2006, 15:30 h, Reparaturkosten: 6.300 EUR, Wiederbeschaffungswert: 5.000 EUR, Restwert: 1.000 EUR, Wiederbeschaffungszeitraum laut Gutachten: 10 Werktage, Zulassung Ersatzfahrzeug: 15.5.2006 = 33 Tage Nutzungsausfall. Der Versicherer wendet einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ein und zahlt nur 14 Tage Nutzungsausfall.

Falsch: Der Blick in den Kalender zeigt (Schadensermittlungszeitraum): 13.4.2006 = Gründonnerstag, frühestmögliche Beauftragung des Sachverständigen wegen der Osterfeiertage: 18.4.2006; tatsächliche Begutachtung wegen Überlastung aller Sachverständigen (zahlreiche Unfälle über Ostern): Mittwoch, 19.4.2006; Gutachten fertig und berechnet: Donnerstag, 20.4.2006; zugesandt Freitag, 21.4.2006; (Überlegungszeitraum) eine Woche Überlegungsfrist wegen möglicher Abrechnung auf 130-%-Basis statt Totalschadensabrechnung: Freitag, 28.4.2006; dann Entschluss zur Totalschadensabrechnung; von nun an also 10 Werktage (Wiederbeschaffungszeitraum) einschließlich Wochenenden = bis (1.5.2006 ist Feiertag) 15.5.2006 = 33 Tage!

Zur Problematik der erforderlichen Anschaffung eines Interimsfahrzeugs bei längeren Nutzungsausfallzeiträumen vgl. die Ausführungen oben (siehe Rdn 193 ff.).

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