Rz. 502
Auch wenn sich ein Gerichtsverfahren anschließt, weil der Versicherer die Forderung ganz oder teilweise nicht begleicht, ist die für die außergerichtliche Tätigkeit angefallene Gebühr abzurechnen. Die für diese Tätigkeit entstandene Geschäftsgebühr wird gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG nur zur Hälfte, höchstens jedoch mit einem Gebührensatz von 0,75, angerechnet.
Rz. 503
Das bedeutet, dass der nicht angerechnete Teil der Geschäftsgebühr sowie die Auslagenpauschale in voller Höhe an den Rechtsanwalt zu zahlen sind. Im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren sind jedoch nur gerichtlich angefallene Gebühren festsetzbar. In Höhe der außergerichtlich angefallenen Anwaltskosten entsteht für den Mandanten damit ein Gebührenschaden, der mit der Klage geltend zu machen ist. Die Kosten anwaltlicher Tätigkeit sind ein Schaden gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (Palandt-Grüneberg, BGB, § 249 Rn 57).
Nach neuerer Rechtsprechung des BGH (vgl. z.B. BGH VersR 2007, 1098; NJW 2007, 2050) ist nicht lediglich der nicht anzurechnende Anteil der Geschäftsgebühr als Nebenforderung mit einzuklagen, sondern die gesamte vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr. Die teilweise Anrechnung ist sodann erst im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen.
Rz. 504
Beispiel
Wenn außergerichtlich 10.000 EUR geltend gemacht und sodann eingeklagt werden: |
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1,3 Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG aus 10.000 EUR |
725,40 EUR |
+ Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Gebührenschaden netto |
745,40 EUR |
Bei nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten ist noch die Mehrwertsteuer hinzuzurechnen. Da es sich bei diesem Betrag um vorgerichtliche Kosten handelt, wirkt er gem. § 4 Abs. 1 ZPO nicht streitwerterhöhend (std. Rspr. des BGH seit BGH VersR 2007, 1102 = zfs 2007, 284; z.B. BGH NJW-RR 2008, 374; BGH v. 12.3.2008 – VI ZB 9/06 – NZV 2008, 455) und sollte zur besseren Übersichtlichkeit im Antrag auch gesondert ausgewiesen werden: "… zzgl. vorgerichtlicher Kosten i.H.v. 335,90 EUR …".
Rz. 505
Wenn der Versicherer außergerichtlich einen Teil der Forderung gezahlt hat, schuldet und zahlt er die außergerichtliche Gebühr mit dem Wert des gezahlten Betrages. Diese Zahlung mindert den Gebührenschaden und ist in Abzug zu bringen. Zu beachten ist weiterhin, dass die Anrechnung gem. Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG nur in Höhe des gerichtlichen Streitwerts erfolgt.
Rz. 506
Wenn also im obigen Beispiel der Versicherer außergerichtlich 3.000 EUR gezahlt hat, ist der Gebührenschaden so zu errechnen:
1,3 Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG aus 10.000 EUR |
725,40 EUR |
+ Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Zwischenergebnis netto |
745,40 EUR |
Davon ist die Zahlung des Versicherers |
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1,3 Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG aus 3.000 EUR |
261,30 EUR |
+ Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Zahlungsbetrag |
281,30 EUR |
abzuziehen, also: |
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Zwischenergebnis netto |
745,40 EUR |
./. Zahlungsbetrag |
281,30 EUR |
Gebührenschaden |
464,10 EUR |
Bei nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten sind jeweils die Zwischenbeträge (oder der Endbetrag) um die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
Rz. 507
Weil der Auftraggeber auf den angerechneten Kosten nicht "sitzen bleiben" will, wird der Anwalt regelmäßig den nicht ausgeglichenen Teil der Geschäftsgebühr im Wege des materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs (Verzug, Vertragsverletzung, Delikt o.Ä.) mit einklagen müssen. So werden insbesondere Rechtsschutzversicherer darauf bestehen, dass diese Kosten geltend gemacht werden.
Rz. 508
Die Anspruchsgrundlagen hierzu bieten bei der Verkehrsunfallregulierung §§ 7, 18 StVG und § 823 BGB. Die außergerichtlichen Regulierungskosten sind adäquate Schadensfolge und daher vom Schädiger gem. §§ 249 ff. BGB zu ersetzen, soweit er haftet.
Rz. 509
Der Anwalt muss daher in diesen Fällen die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruch mit einklagen. Für den Verkehrsrechtler ist dies kein Neuland, musste er bislang doch häufig auch eine außergerichtlich angefallene Besprechungsgebühr nebst nicht anzurechnender außergerichtlicher Auslagenpauschale mit einklagen.
Rz. 510
Ob es allerdings tatsächlich immer erforderlich sein sollte, diese Gebühren mit einzuklagen, ist fraglich. Soweit der Haftpflichtversicherer nämlich im nachfolgenden Rechtsstreit unterlegen ist, wird er vernünftigerweise anschließend keine Einwände erheben, auch die Geschäftsgebühr zu übernehmen. Will der Anwalt jedoch sichergehen, so klagt er diesen Anspruch sogleich mit der Hauptsache ein.
Rz. 511
Nimmt der Geschädigte außergerichtlich den Haftpflichtversicherer in Anspruch und verklagt er dann aber später lediglich den Schädiger, ist die Geschäftsgebühr nicht auf die im Verfahren gegen z.B. den Fahrer angefallene Verfahrensgebühr anzurechnen (AG Bergheim zfs 2002, 247). Die anwaltliche Tätigkeit bezieht sich dann ja auf unterschiedliche Gegner (so auch OLG München AnwBl 1990, 325).
Rz. 512
Die dem Versicherer gem. § 10 Abs. 5 AKB bzw. A.1.1.4 AKB 2008 obliegende umfassende Regulierungsvollmacht führt zu keiner and...