I. Allgemeines
Rz. 133
Die mit der Vor- und Nacherbschaft (§§ 2100 ff. BGB) einhergehende (streitanfällige) Einschränkung der Dispositionsfreiheit des (Vor-)Erben über den Nachlass kann in bestimmten Fällen empfehlenswert sein. Insbesondere bei der Gestaltung von Bedürftigen- oder Behindertentestamenten hat deren Anordnung erhebliche praktische Bedeutung.
Rz. 134
Im Zivil- und im Erbschaftsteuerrecht wird die Vor- und Nacherbschaft unterschiedlich behandelt:
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Zivilrechtlich liegt ein Erbfall vor, denn sowohl Vor- als auch Nacherbe sind Erben des Erblassers. Dabei ist der Vorerbe (nur) Erbe auf Zeit, der Nacherbe hat derweil eine Nacherbenanwartschaft. |
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Aus erbschaftsteuerlicher Sicht hingegen liegen zwei steuerpflichtige Erwerbe vor, nämlich der Eintritt des Vor- und der des Nacherbfalls. |
II. Besteuerung des Vorerben (§ 6 Abs. 1 ErbStG)
Rz. 135
Der Vorerbe wird – trotz zivilrechtlicher Verfügungsbeschränkungen – als Vollerbe behandelt und besteuert, § 6 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Allerdings wird er durch die Erbschaftbesteuerung des Erwerbs wirtschaftlich nicht belastet, da er die durch die Vorerbschaft veranlasste Steuer aus den Mitteln der Vorerbschaft entrichten darf, § 20 Abs. 4 ErbStG i.V.m. § 2126 BGB. Im Ergebnis trifft mithin wirtschaftlich den Nacherben die Steuerlast des Vorerben. Daher hat einerseits der Vorerbe kein eigenes Interesse an einer Reduzierung der Steuer bzw. einem entsprechenden (kostenintensiven) Verfahren gegen die Finanzverwaltung und andererseits der Nacherbe keine Handhabe gegen den Vorerben und/oder das Finanzamt. In Betracht kommt eine entsprechende Anordnung im Testament, die z.B. eine Untätigkeit des Vorerben sanktioniert.
Rz. 136
Tritt der Nacherbfall nicht ein (z.B. weil der Nacherbe ausschlägt oder der Vorerbe den vorverstorbenen Nacherben beerbt), führt dies nicht zu einem weiteren steuerpflichtigen Erwerb. Der Vorerbe ist – wie jeder andere Erbe auch – Erbschaftsteuerschuldner für seinen Erwerb. Verstirbt der Vorerbe vor Begleichung der Steuerschuld, ist sein Gesamtrechtsnachfolger i.S.d. § 1922 BGB – nicht der Nacherbe – Steuerschuldner der vom Vorerbfall ausgelösten Erbschaftsteuer. Allerdings muss der Nacherbe diesen von der Steuerlast befreien.
Die vorgenannten Grundsätze gelten auch für das Vor- und Nachvermächtnis.
III. Besteuerung des Nacherben (§ 6 Abs. 2 ErbStG)
1. Vor Eintritt des Nacherbfalls
Rz. 137
Der Erwerb des Nacherbenanwartschaftsrechts stellt keinen steuerpflichtigen Tatbestand dar. Auch dessen Schenkung oder der gegenleistungsfreie Verzicht hierauf löst keine Schenkungsbesteuerung aus, §§ 1 Abs. 2, 10 Abs. 4 ErbStG. Die Ausschlagung des Nacherben vor dem Eintreten des Nacherbfalls gegen Abfindung löst hingegen eine Steuerpflicht aus, § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG (siehe § 3 Rdn 66>). Verstirbt der Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalls, fällt das Nacherbenanwartschaftsrecht nicht in seinen erbschaftsteuerpflichtigen Nachlass, § 10 Abs. 4 ErbStG.
2. Nach Eintritt des Nacherbfalls
Rz. 138
Anders als im Zivilrecht – hier wird der Nacherbe Erbe des Erblassers und nicht etwa des Vorerben (§ 2100 BGB) – sieht das Erbschaftsteuerrecht vor, dass beim Eintritt der Nacherbfolge diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern haben, § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG. Entsprechend greift etwa für die Bestimmung des Freibetrags und der Steuersätze grundsätzlich das Verhältnis zwischen dem Vor- und dem Nacherben. Allerdings kann sich der Nacherbe (quasi dem Zivilrecht folgend) erbschaftsteuerlich alternativ nach dem Verhältnis zum Erblasser behandeln lassen, § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG. Ein entsprechender Antrag ist nur sinnvoll, wenn der Nacherbe zum Erblasser in einem engeren Verwandtschaftsverhältnis steht als zum Vorerben.
Hinweis
In jedem Falle sollte geprüft werden, ob ein Antrag i.S.d. § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG zu einer günstigeren Besteuerung führt. Dabei sollte stets auch berücksichtigt werden, ob sich – neben dem Freibetrag und der Steuerklasse – weitere Regelungen des ErbStG auf die Besteuerung auswirken. Dies gilt insbesondere für die Regelungen des § 14 ErbStG zur Zusammenrechnung von Erwerben (siehe § 7 Rdn 1 ff.>) und des § 5 ErbStG zur erbschaftsteuerlichen Behandlung der Zugewinngemeinschaft.
Rz. 139
Oftmals wird der Nacherbe auch (jedenfalls teilweise) Erbe des Vorerben, also Erwerber von dessen Eigenvermögen, sein. Geht auch eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, sind beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln, § 6 Abs. 2 S. 3 ErbStG. Das Wahlrecht des § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG greift für das Eigenvermögen des Vorerben nicht. In der Praxis problematisch ist in diesen Fällen – wie in entsprechenden zivilrechtlichen Konstellati...