Isabelle Losch, Walter Krug
1. Demenz
Rz. 37
In der Praxis wird häufig im Verfahren darüber gestritten, ob der Erblasser aufgrund einer Demenz testierfähig war oder eben nicht. Die Demenz ist entweder eine primär auftretende Funktionsstörung (bei Krankheiten, Verletzungen oder Störungen, die das Gehirn direkt oder im besonderen Maße schädigen) oder eine sekundär auftretende Funktionsstörung (bei systemischen Krankheiten oder Störungen, die das Gehirn als eines von vielen Organen oder Körpersystemen betreffen).
Rz. 38
Häufig ist sie die Folge einer meist chronischen bzw. fortschreitenden Krankheit des Gehirns. Damit einhergehend treten Störungen vieler höherer kortikaler Funktionen auf, die das Gedächtnis, das Denken, die Orientierung, die Auffassungsgabe, das Rechnen, die Lernfähigkeit, die Sprache und auch das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Während das Bewusstsein in der Regel nicht getrübt ist, treten aber weitere Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation auf. Dies hat insgesamt zur Folge, dass die intellektuelle Leistungsfähigkeit abnimmt und die persönlichen Aktivitäten des täglichen Lebens, wie Waschen, Ankleiden, Kochen etc. beeinträchtigt werden. Die Störung des Gedächtnisses betrifft zunächst nur die Aufnahme, Speicherung und Wiedergabe von neu Erlerntem und altes, früh Erlerntes und Vertrautes geht erst in den späten Stadien verloren. Der Interessen- und Erlebnishorizont der Betroffenen schränkt sich häufig schon im Frühstadium auf die nähere Umgebung zum häuslichen Bereich ein.
Rz. 39
Dies führt im Alltag dazu, dass viele den Erkrankten nahestehende Personen zunächst keine oder nur verspätet oder verzögert die demenzielle Entwicklung sehen, da der Erkrankte immer noch den alten Gewohnheiten nachgeht und diese nach wie vor unverändert verrichtet. Es handelt sich dabei um ein Leben lang eingeübte Abläufe. Selbst die Teilnahme am Straßenverkehr, die alleinige Versorgung in der Wohnung sowie "normale" Unterhaltungen widersprechen dem Krankheitsbild nicht. Die Gefahr besteht, dass sogar gravierende Auffälligkeiten als alterstypisch eingeordnet werden, obwohl aus medizinischer Sicht nur wenige kognitive Veränderungen dem normalen Alterungsprozess zugeschrieben werden. Beachtlich ist darüber hinaus, dass auch ein wiederholt vehementes Vorbringen eines Willens die Testierunfähigkeit nicht ausschließt. Die Willensäußerung an sich ist von der Freiheit der Willensbildung zu unterscheiden.
Rz. 40
Diese Fähigkeiten möchte dem Testator auch keiner absprechen, jedoch ist zu beachten, dass daneben durchaus bereits eine fortgeschrittene Demenzerkrankung bestehen kann. Auch das Denkvermögen, insbesondere die Fähigkeit Informationen zu sammeln, zu verarbeiten und zu urteilen und neue Ideen zu entwickeln, ist schon am Beginn der Erkrankung erschwert. Nach ICD-10 sind Demenzen, die auf Gehirnerkrankungen beruhen, als chronische und fortschreitende Störungsmuster definiert. Jeder Fall ist in der Praxis jedoch unterschiedlich, der Verlauf nicht unbedingt lehrbuchartig. Häufig beginnt der Verfall der Geistestätigkeit unbemerkt und schleichend, gerade nahestehende Personen erkennen diesen nicht. Es liegt ein sogenanntes Fassadenphänomen vor, der Erkrankte ist fähig, die bekannte "Fassade" aufrechtzuerhalten und seine kognitiven Defizite somit zu überspielen. Dies ermöglicht dem Erkrankten von vielen Mitmenschen, auch Ärzten, die keine geriatrische/gerontopsychiatrischen Erfahrungen gesammelt haben, als mehr oder weniger unauffällig angesehen zu werden. Die Defizite kommen erst plötzlich und in unerwarteten Situationen zum Vorschein. Als typische Anzeichen für das Fassadenphänomen kommt es in Gesprächen in der Regel zu folgenden Auffälligkeiten, um zu verschleiern, dass die Person dem Gespräch gerade nicht folgen kann: Verwenden von floskelhaften Antworten; einfaches Wiederholen der Frage; bekannte Personen werden nicht mit Namen sondern mit allgemeinen Formulierungen angesprochen; Zurückgeben der Fragen; Verweise auf andere bei genaueren Nachfragen; Vermeidung eigener Nachfragen; Nichteingehen auf Fragen, Inhalte oder Verlauf des Gesprächs; pauschales Zustimmen; wiederkehrende Erzählungen häufig im gleichen Wortlaut, wobei Nachfragen indifferent, nicht kongruent und zeitlich nicht zugeordnet beantwortet werden können; Berichte zu kurz zuvor Erlebtem, wobei das Geschilderte häufig früher regelmäßig durchgeführt wurde, jedoch seit geraumer Zeit schon nicht mehr stattgefunden hat; Umschreiben aufgrund von Wortfindungsstörungen; Kokettieren mit dem Alter; Behaupten, dass man lediglich ohne das notwendige Hilfsmittel gerade nicht lesen oder schlecht hören kann, obwohl dieses Hilfsmittel vorhanden ist.
Rz. 41
Die Erkrankung der Demenz durchläuft mehrere Phasen, es wird zwischen den frühen, den mittelfristigen und den späten (schweren) Symptomen unterschieden, wobei diese bei jedem Betroffenen unterschiedlich ausgeprägt sein können. Charakteristisch ist, dass es insgesamt zu ei...