Rz. 96

Zu den nicht ausgleichsreifen Anrechten zählen zunächst dem Grund oder der Höhe nach nicht hinreichend verfestigte Anrechte, bei denen nicht feststeht, ob der Ausgleichsverpflichtete aus ihnen überhaupt eine Versorgung wird beziehen können (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG).

 

Rz. 97

Als Beispiel nennt § 19 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG die noch verfallbaren Anrechte i.S.d. Betriebsrentengesetzes. Dieser Fall dürfte in der Rechtspraxis den häufigsten Anwendungsfall dieser Gruppe bilden.

 

Rz. 98

Unverfallbar ist ein betriebliches Anrecht, wenn es nach den maßgeblichen Satzungsbestimmungen in seinem Versorgungswert durch die weitere berufliche Entwicklung des Versicherten nicht mehr beeinträchtigt werden kann, wenn er es also behält, obwohl er aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.[67] Führt ein Ehegatte ein betriebliches Anrecht nach dem Ende seines Beschäftigungsverhältnisses im Wege freiwilliger Weitversicherung fort, spricht das im Regelfall für die Unverfallbarkeit des Anrechts.[68]

 

Rz. 99

Die Herausnahme der noch verfallbaren betrieblichen Anrechte entspricht im Grundsatz der früheren Rechtslage (1587a Abs. 2 Nr. 3 Satz 3 a.F.). Im Unterschied zu früher ist aber nun keine Korrektur mehr möglich, wenn das Anrecht nachträglich unverfallbar wird, denn es fehlt eine Parallelregelung zu § 10a VAHRG a.F., der ausdrücklich vorsah, dass bei Überschreitung der relevanten Wertgrenzen eine Änderung des öffentlich-rechtlichen Ausgleichs in Betracht kam, wenn später ein bei der Scheidung noch verfallbares Anrecht unverfallbar wurde. Das heutige Recht schließt die Abänderung in Bezug auf betriebliche Anrechte durch § 32 VersAusglG dagegen ausdrücklich aus. Auch wenn derartige Fälle wegen der Herabsetzung des für die Unverfallbarkeit notwendigen Lebensalters seltener geworden sind als früher, bedeutet das gleichwohl eine erhebliche Schlechterstellung des Ausgleichsberechtigten.

[67] BGH FamRZ 2015, 124; BGH FamRZ 2014, 282; BGH FamRZ 2013, 1021.
[68] BGH FamRZ 2015, 124.

aa) Verfallbarkeit dem Grunde nach

 

Rz. 100

Die Unverfallbarkeit dem Grund nach tritt bei einem Anrecht auf Leistungen aus der betrieblichen Altersvorsorge erst ein, wenn der Berechtigte ein Lebensalter von mindestens 25 Jahren und eine Betriebszugehörigkeit von mindestens fünf Jahren aufweist (§ 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG). Die relevante Altersgrenze wurde zum 1.1.2009 herabgesetzt. Für Versorgungszusagen, die vor dem 1.1.2009 erteilt wurden, bleibt es dagegen bei der bis zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Lebensaltersgrenze von 30 Jahren (vgl. § 30f BetrAVG), bei Versorgungszusagen aus der Zeit vor dem 1.1.2001 musste ein Lebensalter von 35 Jahren und eine Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren vorliegen bzw. die Versorgungszusage seit mindestens drei Jahren bestanden und der Mitarbeiter eine Betriebszugehörigkeit von 12 Jahren erreicht haben.

 

Rz. 101

Unverfallbar sind betriebliche Anrechte außerdem, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Vorruhestandsregelung aus dem Betrieb ausscheidet und ohne das Ausscheiden die Voraussetzungen für den Leistungsbezug hätte erfüllen können (§ 1b Abs. 1 Satz 2 BetrAVG). Gemeint sind nur solche Fälle, in denen die relevante Altersgrenze bereits erfüllt ist, es aber noch einer ausreichenden Betriebszugehörigkeitsdauer fehlt. Zu ermitteln ist dann, ob der Ausgleichspflichtige die notwendige Beschäftigungsdauer von fünf Jahren noch hätte erfüllen können, wenn es nicht zu dem Vorruhestand gekommen wäre.

 

Rz. 102

Immer sofort unverfallbar sind Anrechte, die aus eigenen Beiträgen des Arbeitnehmers erworben werden. Den Hauptfall bilden insoweit durch Entgeltumwandlung erworbene Anrechte der betrieblichen Alterssicherung (§ 1 Abs. 5 BetrAVG).

 

Rz. 103

 

Hinweis

Tarifvertragliche oder individualvertragliche Regelungen können ggü. § 1b BetrAVG günstigere Bedingungen vorsehen.[69] Deswegen müssen bei betrieblichen Anrechten, die auf den ersten Blick als nicht ausgleichsreif erscheinen, weil sie die Anforderungen des § 1b ­BetrAVG nicht erfüllen, auch die kollektivrechtlichen und individualvertraglichen Regelungen erforscht werden, weil sich aus diesen ergeben kann, dass doch schon ein ausgleichsreifes Anrecht vorliegt.

bb) Verfallbarkeit der Höhe nach

 

Rz. 104

In Betracht kommt auch, dass ein Anrecht zwar nicht mehr dem Grund, wohl aber noch in Bezug auf seine Höhe verfallbar ist, dass es also trotz grundsätzlicher Unverfallbarkeit in seiner Höhe noch in der Höhe veränderlich ist. Im Ausgleich bei der Scheidung kann dann das Anrecht nur insoweit ausgeglichen werden, wie es auch in seiner Höhe unverfallbar ist. Was darüber hinausgeht, ist im Ausgleich nach der Scheidung auszugleichen.[70] Das ganze Anrecht ist erst nach der Scheidung auszugleichen, wenn die Aufteilung in einen unverfallbaren und einen verfallbaren Teil nicht möglich ist.

 

Rz. 105

Besondere praktische Bedeutung hat das in Bezug auf die verfallbare Einkommensdynamik bei einkommensabhängigen Versorgungen. Um die Ehezeitanteile solcher Anrechte bewerten zu können, wird insoweit das Ausscheiden des Ausgleichspflichtigen zum Ehezeitende fin...

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