A. Die Inhaltskontrolle von Eheverträgen
Rz. 1
Seit dem Urteil des BVerfG vom 6.2.2001 und dessen Beschluss vom 29.3.2001 ist die Vertragsfreiheit im Ehevertragsrecht erheblich eingeschränkt. Seitdem unterliegen auch Eheverträge der inhaltlichen Kontrolle durch die Gerichte. Diese Rechtsprechung gilt auch für Verträge, die lange vor dieser Rechtsprechung geschlossen wurden. Der vom Bundesverfassungsgericht im Jahre 2001 beurteilte Ehevertrag stammte aus dem Jahr 1977.
Diese Rechtsprechung gilt im Grundsatz auch für Scheidungs- und Trennungsvereinbarungen, selbst wenn sie gerichtlich protokolliert wurden und der darin enthaltene Verzicht auf Versorgungsausgleich familiengerichtlich genehmigt ist.
B. Die vom BGH entwickelten Grundsätze
I. Die zwei Stufen der Inhaltskontrolle
Rz. 2
Inhaltskontrolle von Eheverträgen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Entscheidungen vom 11.2.2004 – XII ZR 265/02 (Urteil), vom 6.10.2004 (Beschluss), 12.1.2005 (Urteil), 25.5.2005 (Urteil) und 17.5.2006 (Beschluss):
Die richterliche Inhaltskontrolle wird vom BGH in zwei Stufen vorgenommen:
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Erste Stufe: Die Wirksamkeitskontrolle unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) |
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Zweite Stufe: Die Ausübungskontrolle unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), falls nicht schon die Wirksamkeitskontrolle zur Nichtigkeit des Vertrages führt. |
II. Die Kernbereichslehre des BGH
Rz. 3
Maßgebend ist als Ausgangspunkt für die Kontrolle jeder der beiden Stufen die Wertigkeit des Rechts, auf das verzichtet oder das geschmälert wird. Betroffen ist insofern die objektive Seite. Die Wertigkeit des betroffenen Rechts wird vom BGH im Rahmen seiner Kernbereichslehre in ein Rangverhältnis gebracht. Die Beanstandung im Sinne einer Inhaltskontrolle ist umso eher anzunehmen, je mehr die Vereinbarung in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.
Nicht zum Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts gehört der Zugewinnausgleich. Er ist ehevertraglicher Disposition am weitesten zugänglich.
III. Die Wirksamkeitskontrolle
Rz. 4
Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle ist zu prüfen, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derart einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt, dass ihr – und zwar losgelöst von der künftigen Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse – wegen Verstoßes gegen die guten Sitten die Anerkennung der Rechtsordnung ganz oder teilweise mit der Folge zu versagen ist, dass an ihre Stelle die gesetzlichen Regelungen treten (§ 138 Abs. 1 BGB). Erforderlich ist dabei eine Gesamtwürdigung, die auf die individuellen Verhältnisse beim Vertragsschluss abstellt, insbesondere also auf Inhalt, Beweggrund und Zweck sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, den geplanten oder bereits verwirklichten Zuschnitt der Ehe sowie auf die Auswirkungen auf die Ehegatten und auf die Kinder. Subjektiv sind die von den Ehegatten mit der Abrede verfolgten Zwecke sowie die sonstigen Beweggründe zu berücksichtigen, die den begünstigten Ehegatten zu seinem Verlangen nach der ehevertraglichen Gestaltung veranlasst und den benachteiligten Ehegatten bewogen haben, diesem Verlangen zu entsprechen.
Bei Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags gilt der gesetzliche Güterstand mit entsprechenden Auswirkungen auf das gesetzliche Erbrecht.
Rz. 5
Zusammenfassend:
Im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle (§ 138 BGB) ist eine Gesamtabwägung aller Umstände vorzunehmen. Maßgebend sind dabei folgende Gesichtspunkte:
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"Evident einseitige Lastenverteilung" |
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"Gesamtschau der getroffenen Vereinbarungen, der Gründe und Umst... |