Rz. 15

Mit dem Tod des erstversterbenden Ehegatten erlischt das Recht zum Widerruf (§ 2271 Abs. 2 S. 1 BGB) und es tritt für wechselbezügliche Verfügungen grundsätzlich eine Bindungswirkung ein. Ab diesem Zeitpunkt hat der überlebende Ehegatte nicht mehr das Recht bzw. die Möglichkeit, durch einseitige Verfügung die Wechselbezüglichkeit zu beseitigen. Der überlebende Ehegatte kann sich von der Bindungswirkung nur dann lösen, wenn er, wie in § 2271 Abs. 2 BGB vorgesehen, die ihm zugedachte Erbeinsetzung fristgerecht ausschlägt oder wenn er im Rahmen einer Selbstanfechtung[30] gemäß den §§ 2078, 2079 BGB die Unwirksamkeit der Verfügung herbeiführt.[31]

 

Rz. 16

Dabei ist bei der Selbstanfechtung durch den Erblasser im Regelfall von einer Gesamtnichtigkeit der Verfügung von Todes wegen auszugehen.[32] Erfolgt die Anfechtung durch einen Dritten, den Pflichtteilsberechtigten selbst, will ein Teil der Literatur die Nichtigkeit auf den Teil der Verfügung von Todes wegen beschränken, der zur Erlangung des gesetzlichen Erbteils des übergangenen Pflichtteilsberechtigten benötigt wird.[33]

Fraglich ist, ob durch die Selbstanfechtung nur die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehepartner wegfällt oder ob es auch zum Wegfall der gesetzlichen Erbfolge beim überlebenden Ehepartner kommt. Zum Wegfall der gesetzlichen Erbfolge kommt es, wenn entweder eine frühere Verfügung von Todes wegen zum Tragen kommt[34] oder wenn in der Schlusserbeneinsetzung der Kinder auch eine Ersatzerbenberufung für den Fall angenommen wird, dass der überlebende Ehepartner die Anfechtung erklärt.[35] Auch wenn die h.M.[36] dazu tendiert, dass die Selbstanfechtung grundsätzlich die Ersatzerbfolge zugunsten der Schlusserben auslöst, sollte dies in der Verfügung für den ersten Todesfall klargestellt werden (vgl. § 19 Rdn 79).

Ein Anfechtungsrecht wegen Irrtums über die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments lehnt die h.M. allerdings ab.[37]

 

Rz. 17

Von der Bindungswirkung lösen kann sich der überlebende Ehepartner auch dann, wenn der bindend Bedachte gemäß § 2352 BGB in notariell beurkundeter Form auf seine Zuwendung verzichtet.[38]

Ferner kann der überlebende Ehepartner auch nach Annahme seine wechselbezüglichen Verfügungen nach § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB widerrufen, wenn sich der Bedachte einer Verfehlung schuldig gemacht hat, die zu einer Pflichtteilsentziehung berechtigt.[39]

Bei Verschwendungssucht oder Überschuldung kann der überlebende Ehepartner gewisse Beschränkungen anordnen (§§ 2271 Abs. 2, 2294, 2336 BGB).[40]

[30] Vgl. zum Formerfordernis Palandt/Weidlich, § 2271 Rn 28; OLG Düsseldorf DNotZ 1972, 42; BayObLG FamRZ 2001, 314.
[31] Nieder/Kössinger, § 24 Rn 21 ff.; vgl. § 19 Rn 68 ff.
[32] Leipold, ZEV 2016, 266.
[33] MüKo/Leipold, § 2079 Rn 24.
[35] J. Mayer, in: Reimann/Bengel/J. Mayer, Testament und Erbvertrag, § 2271 Rn 109.
[36] Keim, ZEV 2018, 681; J. Mayer, in: Reimann/Bengel/J. Mayer, Testament und Erbvertrag, § 2269 Rn 29.
[37] OLG München NJW-RR 2011, 1020; OLG Bamberg MittBayNot 2017, 277; Palandt/Weidlich, § 2078 Rn 3; a.A. Keim, notar 2019, 147.
[38] Keim, notar 2019, 147.
[39] Vgl. hierzu ausführlich Müller, ZEV 2011, 240; OLG Saarbrücken ZEV 2018, 146.
[40] Keim, notar 2019, 147.

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