I. Beweislast im Verfahren zur Eignungsprüfung

 

Rz. 89

Nach § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StVG wird für die Erteilung der Fahrerlaubnis positiv gefordert, dass der Bewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Diese Voraussetzung hat der Bewerber nach Maßgabe von § 2 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 StVG der Straßenverkehrsbehörde nachzuweisen. Eignungszweifel gehen zu Lasten des Bewerbers.[73] Allerdings haben Bewerber für eine Fahrerlaubnis der Klassen A (Krafträder) und B (Pkw) hinsichtlich ihrer körperlichen und geistigen Eignung lediglich einen Sehtest (§ 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 FeV) vorzulegen.[74]

 

Rz. 90

Soll umgekehrt dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese entzogen werden (§ 3 StVG), so stellt sich die Frage der Beweislast. Die Behörde, die die erteilte Fahrerlaubnis entziehen will, hat grundsätzlich die Beweislast für das Vorliegen von Tatsachen, aus denen sich die mangelnde Eignung ergibt.[75] Auch insoweit ist deshalb für den Entzug der Fahrerlaubnis Voraussetzung, dass sich die Ungeeignetheit aus erwiesenen Tatsachen ergibt.[76]

[73] Z.B. VGH Mannheim SVR 2013, 108; bestätigt durch BVerwG zfs 2013, 593 m. Anm. Koehl, SVR 2014, 36.
[74] Hentschel/König/Dauer, § 2 StVG Rn 41.
[75] Hentschel/König/Dauer, § 3 StVG Rn 3.
[76] Himmelreich/Janker/Karbach, Rn 1124.

II. Beweiswürdigung

1. Grundsatz der freien Beweiswürdigung

 

Rz. 91

Im Verwaltungsverfahren gilt gemäß § 69 Abs. 1 VwVfG der Grundsatz der freien Beweiswürdigung und ebenso gemäß § 108 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

 

Rz. 92

Auf der Grundlage der erhobenen relevanten Beweise ist dann zu entscheiden, ob die Voraussetzungen entsprechend dem unbestimmten Rechtsbegriff der "Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen" gegeben sind.

 

Rz. 93

Bei der betreffenden Entscheidung genügt "ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt".[77]

 

Rz. 94

Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist eine "mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" erforderlich.[78]

[77] Bode/Winkler, § 8 Rn 12.
[78] BVerwG NJW 1982, 1893.

2. Beweiswürdigung und "Prognose"

 

Rz. 95

Bei der Beweiswürdigung, speziell auch aufgrund von gutachtlichen Feststellungen, ist ein "Prognosedilemma" gegeben. Dieses ist darin zu sehen, dass Erkenntnisse über künftige Tatsachen oder über ein künftiges Verhalten kaum mit der "an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" festzustellen sind.

 

Rz. 96

Die Beweiswürdigung muss sich bei der Feststellung einer Prognose auf bestimmte "Prognosemethoden" stützen.

a) Feststellung der Rückfallwahrscheinlichkeit

 

Rz. 97

Die konkrete Ausfüllung des Begriffs der "Rückfallwahrscheinlichkeit" bereitet in der Rechtspraxis große Schwierigkeiten. Hierbei geht es um die Feststellung des Rückfallrisikos für bestimmte Personengruppen, die – wie statistisch festgestellt – durch bestimmte Verkehrsdelikte auffällig geworden sind.

 

Rz. 98

Die Rückfallzahlen sind nach Bode/Winkler abhängig von

Verfolgungsintensität eines bestimmten Deliktes,
Dunkelziffer,
individuelle Veränderung situativer Lebensbedingungen,
individuelle Veränderungen personengebundener Bedingungen,
Anreizsituationen,
Gefährdung durch Dritte,
Deliktsstruktur,
Täter.[79]
[79] Bode/Winkler, § 8 Rn 17 ff.

b) Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit

 

Rz. 99

Eine Entscheidung zur Rückfallwahrscheinlichkeit kann unabhängig von den vorgenannten Umständen nur gefunden werden bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit. Die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Betroffenen, zu dessen Lasten Eignungsmängel festgestellt sind, hängt von seiner persönlichen Lebenssituation und ebenso von der Situation der Teilnahme am Straßenverkehr ab.

 

Rz. 100

Die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit muss aufklären die Ursache für ein vorangegangenes Fehlverhalten, die Tatumstände und die zugrunde liegenden Ursachen, zwischenzeitliche Erarbeitung der Ursachen durch den Betroffenen sowie spezielle Persönlichkeitseigenarten des Betroffenen. Hieraus muss unter Abwägung aller Umstände abgeleitet werden, ob rückfallfördernde oder rückfallhemmende Faktoren überwiegen.[80]

 

Rz. 101

In der Beweiswürdigung kommt es also bei der Feststellung der Prognose künftigen Verhaltens auf die Feststellung an, ob nach den Faktoren der Rückfallwahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung der Würdigung der Gesamtpersönlichkeit von einer überwiegenden Rückfallwahrscheinlichkeit auszugehen ist oder nicht.

[80] Vgl. hierzu im Einzelnen Bode/Winkler, § 8 Rn 29.

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