Ein Ehepaar, aus dessen Ehe zwei Kinder hervorgegangen sind, errichtete im Jahr 1954 ein gemeinschaftliches Testament, durch das sie sich gegenseitig als befreite Vorerben und ihre beiden Kinder als Nacherben einsetzten. Die Ehefrau starb im Jahr 1971.
Im Jahr 1972 heiratete der überlebende Witwer ein zweites Mal. Aus dieser Ehe gingen eine Tochter und ein Sohn hervor. Innerhalb eines Jahres nach der Geburt der Tochter focht der Witwer das gemeinschaftliche Testament von 1954 durch notarielle Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht an.
Aufgrund dessen ist die vorverstorbene erste Ehefrau kraft Gesetzes beerbt worden vom Witwer zur Hälfte und von den erstehelichen Kindern zu je einem Viertel.
Der Witwer starb 1998. Aufgrund seines formgültigen Testaments von 1996 wurde die zweite Ehefrau und jetzige Witwe seine Alleinerbin.
Die beiden erstehelichen Kinder wollen wissen, ob sie die zweite Ehefrau und jetzige Alleinerbin ihres Vaters auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses der Mutter und über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände in Anspruch nehmen können. Außerdem sind sie der Meinung, sie könnten Einräumung des Mitbesitzes am Nachlass der Mutter, Grundbuchberichtigung hinsichtlich der Nachlassgrundstücke und die Auseinandersetzung des Nachlasses nach ihrer Mutter verlangen.
Lösung
Der Witwer und Vater der beiden erstehelichen Kinder war Erbschaftsbesitzer.
Nach dem Wortlaut des § 2018 BGB ist unter einem Erbschaftsbesitzer zu verstehen, wer aufgrund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat.
Er hat mit der Anfechtung des Testaments von 1954 nicht nur – mit Rückwirkung auf den Erbfall der Mutter – die ihm ursprünglich zugedachte Rechtsstellung als Vorerbe in die Stellung eines gesetzlichen Miterben neben den gemeinschaftlichen erstehelichen Kindern verwandelt. Da er bis zur Anfechtung den Nachlass für sich als Vorerbe in Anspruch genommen hat, ist er auch mit der Anfechtung zugleich – rückschauend betrachtet – als Erbschaftsbesitzer anzusehen.
Der Vater hat den Nachlass der Mutter unter Inanspruchnahme eines ihm zustehenden Erbrechts als deren alleiniger Vorerbe erlangt. Darin lag zunächst keine unberechtigte Erbanmaßung. Vielmehr war der Vater nach dem Tod seiner ersten Ehefrau tatsächlich deren alleiniger Vorerbe geworden. Das änderte sich jedoch mit der wirksamen Testamentsanfechtung im Jahr 1974. Infolge dieser Anfechtung sind die eigenen wechselbezüglichen Verfügungen des Vaters entsprechend §§ 2281, 2079, 142 Abs. 1 BGB als nichtig anzusehen, so dass gem. § 2270 Abs. 1 BGB auch die Einsetzung des Vaters zum Vorerben seiner ersten Ehefrau von Anfang an unwirksam ist. Mit diesem Wegfall des Erbrechts des Vaters erscheint demgemäß auch die Erlangung des Nachlasses der Mutter durch den Vater in einem anderen Lichte. Das Erbrecht des Vaters, das dieser im Zusammenhang mit der Erlangung des Nachlasses der Mutter für sich in Anspruch genommen hatte, bestand – infolge der rückwirkend eingetretenen Unwirksamkeit der entsprechenden Verfügung der Mutter – i.S.v. § 2018 BGB von vornherein "in Wirklichkeit nicht", so dass der Vater von Anfang an als Erbschaftsbesitzer angesehen werden muss.
Dementsprechend war der Vater den erstehelichen Kindern bis zuletzt zur Auskunft nach § 2027 Abs. 1 BGB verpflichtet. Nach der Rechtsprechung des BGH geht diese Auskunftspflicht als Nachlassverbindlichkeit auf die Erben des Erbschaftsbesitzers über. Damit ist die zweite Ehefrau und jetzige Alleinerbin Schuldnerin des Auskunftsanspruchs geworden.