aa) Bestand und Wert
Rz. 411
Neben dem Auskunftsanspruch hat der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf Ermittlung des Wertes der Nachlassgegenstände (§ 2314 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB). Es handelt sich um zwei selbstständige Ansprüche. Die Wertfeststellung erfolgt durch Einholung von Sachverständigengutachten, die Kosten dafür fallen dem Nachlass zur Last (§ 2314 Abs. 2 BGB).
Die Wertermittlungspflicht erstreckt sich auch auf solche Gegenstände, die nicht mehr zum Nachlass gehören, diesem aber (zur Ermittlung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs gem. § 2325 BGB) hinzuzurechnen sind – sog. "fiktiver Bestand".
Allerdings reicht auch der Wertermittlungsanspruch des pflichtteilsberechtigten Nichterben nicht so weit, dass allein der begründete Verdacht einer unter § 2325 BGB fallenden Schenkung genügen würde, um eine Wertermittlung durch Sachverständigen auf Kosten des Nachlasses zu erreichen; vielmehr muss der Pflichtteilsberechtigte schon für den Wertermittlungsanspruch darlegen und beweisen, dass unter Berücksichtigung von Leistung und Gegenleistung eine zumindest gemischte Schenkung vorliegt; wenn der Pflichtteilsberechtigte die Kosten dagegen selbst übernimmt, genügen greifbare Anhaltspunkte für eine unentgeltliche Verfügung.
Die so ermittelten Werte sind im Prozess nicht bindend, sie dienen dem Pflichtteilsberechtigten lediglich als Orientierung und zur Abschätzung des Prozessrisikos. Bleibt die Bewertung im Prozess streitig, so hat das Gericht seinerseits ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Die Vorlage von Bilanzen ersetzt in der Regel eine Wertermittlung nicht, weil die dort enthaltenen Buchwerte keine Aussage über den Verkehrswert zulassen.
Rz. 412
BGH in BGHZ 108, 393:
Zitat
Der pflichtteilsberechtigte Erbe, der den vom Erblasser Beschenkten auf Pflichtteilsergänzung in Anspruch nimmt, kann gegen diesen einen Anspruch auf Wertermittlung aus § 242 BGB haben; auf Kosten des Beschenkten kann die Wertermittlung aber nicht verlangt werden. … [S. 396] Wie der Senat durch Urt. v. 19.4.1989 inzwischen entschieden hat (BGHZ 107, 200), haftet der (zuletzt) Beschenkte in den Fällen des § 2329 BGB mit dem Erlangten nur bis zur Höhe des Fehlbetrages im Sinne von § 2329 Abs. 2 BGB; der früher Beschenkte haftet nur bis zur Höhe des Fehlbetrages im Sinne von § 2329 Abs. 3 BGB. Damit ist die den Beschenkten gesetzte Opfergrenze erreicht; mehr brauchen sie von dem Geschenk, das sie ja mit Rechtsgrund in Händen halten, nicht wieder herauszugeben, auch nicht zur Deckung kostspieliger Ermittlungen oder Auskünfte im Interesse von Pflichtteilsberechtigten. Das kann bei einem Wertermittlungsanspruch, der auf § 242 BGB gestützt ist, nicht anders sein als im Rahmen von § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB. Davon aus Billigkeitsgründen im Einzelfall abzugehen, erscheint nicht gerechtfertigt. …
Deshalb ist ein schützenswertes Interesse des Pflichtteilsberechtigten daran anzuerkennen, dass der Wert der verschenkten Gegenstände sachverständig und objektiv ermittelt wird. Demgemäß ist es in solchen Fällen grundsätzlich gerechtfertigt, ihm einen Anspruch auf Ermittlung des Wertes an den maßgebenden Stichtagen (§ 2325 Abs. 2 BGB) einzuräumen.
bb) Anspruch auf Wertermittlung trotz Veräußerung des Nachlassgegenstands
Rz. 413
BGH, Urt. v. 29.9.2021:
Zitat
Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB steht nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben nach dem Erbfall veräußert wurde. …
Der Pflichtteilsberechtigte hat jedenfalls dann ein schutzwürdiges Interesse an einer derartigen Wertermittlung, wenn die vom Erben vorgelegten Unterlagen und Auskünfte nicht ausreichen, sich ein Bild über den Wert des Nachlassgegenstandes zu machen (…) …
Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass der Nachlassgegenstand vom Erben – wie hier seitens des Beklagten hinsichtlich des Grundstücks geschehen – nach dem Erbfall veräußert wurde (…). Dies rechtfertigt sich daraus, dass dem Pflichtteilsberechtigten anderenfalls der Nachweis verwehrt bzw. zumindest erschwert würde, dass der Veräußerungserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht. Gegen eine Versagung des Wertermittlungsanspruchs in Fällen der nachträglichen Veräußerung eines Nachlassgegenstandes spricht ferner, dass ausweislich der Regelung in § 2314 Abs. 2 BGB die Kosten für die Auskunftserteilung und Wertermittlung nach Absatz 1 dem Nachlass zur Last fallen, während der Pflichtteilsberechtigte, der im Rahmen von § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB einen anderen Verkehrswert als den tatsächlichen Veräußerungserlös behauptet, insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist und damit auch die entsprechenden für die Wertermittlung erforderlichen Kosten zu tragen hat.