A. Erbscheinsverfahren
I. Überblick
Rz. 1
Der Erbschein ist für die Erben der "Ausweis" ihrer Erbenstellung. Es gilt die Vermutung, dass dem im Erbschein genannten Erben das Erbrecht in dem bezeichneten Umfang zusteht (Vermutung der Richtigkeit, § 2365 BGB). Wer von einem Erbscheinserben erwirbt (§ 2366 BGB) oder an einen Erbscheinserben leistet (§ 2367 BGB), darf auf die Richtigkeit des Erbscheins vertrauen, soweit die Vermutung der Richtigkeit (§ 2365 BGB) reicht (öffentlicher Glaube des Erbscheins). Ungeachtet der somit weitreichenden und enormen Bedeutung des Erbscheins in der Praxis darf nicht übersehen werden, dass der Erbschein keine rechtskräftige Feststellung des Erbrechts enthält: Auch nach Ablauf der Rechtsmittelfristen (§§ 63 Abs. 1, 71 Abs. 1 FamFG), tritt lediglich eine formelle, jedoch keine materielle Rechtskraft ein: Auch nach Jahren genauso aber bereits einen Tag nach Verstreichen der Rechtsmittelfrist, kann erneut ein Antrag auf Erteilung eines Erbscheins gestellt werden, der von dem bereits erteilten Erbschein abweicht. Dabei müssen keine neuen Tatsachen aufgetaucht sein; der neuerliche Antrag kann mithin allein deswegen erfolgreich sein, weil eine andere Rechtsauffassung oder abweichende Auslegung des Testamentes zu einem anderen Ergebnis führt.
Rz. 2
Der Erbschein ist zwar eine öffentliche Urkunde i.S.v. § 417 ZPO; es besteht jedoch im Zivilprozess keine Bindung des Prozessgerichts an den Inhalt. Die Vermutung der Richtigkeit nach § 2365 BGB gilt über § 292 ZPO analog zwar bis zum – möglichen – Beweis des Gegenteils. In einem Streit zwischen Erbprätendenten hat der Erbschein jedoch keine bindende Wirkung.
Das Erbscheinsverfahren wird zwar vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrscht, setzt jedoch gleichwohl zunächst einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins voraus (§ 2353 BGB, gleichzeitig Legaldefinition "Erbschein"). Für Miterben wird auf Antrag ein gemeinschaftlicher Erbschein ausgestellt, § 352a Abs. 1 S. 1 FamFG. Neben dem gemeinschaftlichen Erbschein, der Erbnachweis für alle Miterben der Erbengemeinschaft ist, gibt es die Möglichkeit
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des Teilerbscheins (für einen einzelnen Miterben, vgl. hierzu nachfolgend Rdn 5) |
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des Gruppenteilerbscheins (Zusammenfassung mehrerer Teilerbscheine, vgl. hierzu nachfolgend Rdn 6) |
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des gemeinschaftlichen Teilerbscheins (im Gegensatz zum Gruppenerbschein kann der gemeinschaftlichen Teilerbschein von einem Miterben beantragt werden) |
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des Mindestteilerbscheins (bei Unbestimmtheit von Erbteilen). Bei gemeinschaftlichen Erbenscheinen aller Erben ist die Angabe der Erbquoten entbehrlich, wenn alle Antragsteller (nicht alle Miterben) im Antrag auf die Angabe der Quoten verzichten (§ 352a Abs. 2 S. 2 FamFG), vgl. hierzu nachfolgend Rdn 3 und Rdn 7 f. Die Angabe von Quoten ist jedoch weiterhin notwendig beim Teilerbschein sowie gemeinschaftlichen Teilerbschein. |
II. Antragsberechtigung
Rz. 3
Antragsberechtigt ist nach § 352a Abs. 1 S. 2 FamFG jeder Miterbe aufgrund "einer Art" Verfahrensstandschaftsrecht. Der Miterbe benötigt weder eine Vollmacht noch einen Beschluss der Erbengemeinschaft. Der Antrag kann auch gegen den Willen anderer Miterben gestellt werden.
Auch der Erbschein ohne Angabe der Erbquoten kann von lediglich einem Miterben beantragt werden. Im Antrag müssen alle Antragsteller auf die Angabe der Erbteile im Erbschein verzichten, § 352a Abs. 2 S. 2 FamFG. Beantragt lediglich ein Miterbe die Erteilung des Erbscheins, ist allein sein Verzicht auf die Angabe der Erbteile ausreichend; die übrigen Miterben müssen nicht ebenfalls verzichten. Der Wortlaut des § 352a Abs. 2 S. 1 FamFG ist insoweit jedoch klar, dass lediglich der Verzicht der Antragsteller erforderlich ist. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber hier irrtümlich die Begriffe "Miterbe" und "Antragsteller" verwechselt hat, so dass von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen ist. Da ein quot...