Rz. 150
Der Schmerzensgeldanspruch ist von dem Gesetz zwar als Schadensersatzanspruch bezeichnet, aber nicht von einer "rechenhaften" Struktur (Diehl, zfs 2007, 11). Da immaterielle Schäden sich nicht in Geld ausdrücken lassen, ist die angemessene Höhe nicht exakt bestimmbar.
Rz. 151
Als Hilfsmittel für die Bestimmung der angemessenen Schmerzensgeldbeträge werden Entscheidungssammlungen herangezogen, in denen Vergleichsentscheidungen aufgeführt sind. Methodisch ist bei der Heranziehung solcher Vergleichsentscheidungen zu beachten, dass sich eine Übernahme der ausgewiesenen Beträge älterer Entscheidungen verbietet. Vielmehr ist zugunsten des Geschädigten die seit dem Entscheidungszeitpunkt verstrichene Geldentwertung ebenso zu berücksichtigen wie die allgemeine Tendenz, bei der Bemessung von Schmerzensgeld großzügiger als früher zu verfahren (Diehl, a.a.O.).
Rz. 152
Bei der Ermessensausübung hilfreich und als Orientierungsrahmen dienen die so genannten Schmerzensgeldtabellen. Die führenden Tabellen sind im Literaturhinweis aufgeführt.
a) "Tabelle Hacks/Wellner/Häcker"
Rz. 153
Sie ist nach wie vor die gebräuchlichste unter den Schmerzensgeldtabellen.
Rz. 154
Das Zitieren nach den Nummern dieser Tabelle ermöglicht einfaches und rationelles Korrespondieren mit Versicherer und Gericht. Sie gehört daher zwingend in jede Kanzlei, die sich mit Schadensersatzrecht befasst, da anderenfalls die numerischen Zitate in den Schreiben der Versicherer oder den Schriftsätzen bei Gericht nicht nachvollziehbar sind.
Rz. 155
Die "Hacks" (wie sie heute noch in der Kurzform nach ihrer Begründerin genannt wird) oder früher "ADAC-Tabelle" ermöglicht über den mitgelieferten Zugang zur Datenbank Schmerzensgeld Online eine Mitnennung der Nummern und Entscheidungen früherer Auflagen. Außerdem sind in der Datenbank weitere Urteile verfügbar, die aufgrund ihrer Aktualität nicht mehr im Buch abgedruckt wurden (im Buch mehr als 3.000, in der Online-Datenbank etwa 6.000 Urteile deutscher Gerichte). Mit der Online-Nutzung besteht zudem der Vorteil, dass der Nutzer über eine Verlinkung der Urteile mit der juris-Rechtsprechungsdatenbank zur Volltext-Ansicht des Urteils gelangt.
b) "Tabelle Slizyk/beck-online.Schmerzensgeld"
Rz. 156
Sie ist eine einfach zu gebrauchende EDV-Schmerzensgeldtabelle. Die Suchfunktion ist sehr gut und auch einfach zu handhaben. Das Anwenderhandbuch ist zur Handhabung gar nicht notwendig. Diese Schmerzensgeldtabelle kann daher vor allem EDV-Anwendern empfohlen werden. Diese Tabelle ist auch als Print-Version erhältlich.
c) "Taggenaue Berechnung nach Schwintowski/Schah Sedi, Handbuch Schmerzensgeld"
Rz. 157
Einen neuen Ansatz verfolgt das OLG Frankfurt (v. 18.10.2018 – 22 U 97/16 – zfs 2019, 83) mit einer taggenauen Bemessung des Schmerzensgeldes unter Hinweis auf Schwintowski/Schah Sedi, Handbuch Schmerzensgeld, 2013. Soweit ersichtlich, hat diese neue Art der Berechnung, welche häufig zu deutlich höheren Schmerzensgeldern führt, bisher jedoch in der Rechtsprechung und Literatur noch kaum Befürworter gefunden (Bensalah/Hassel, NJW 2019, 403; ähnlicher Ansatz LG Aurich VersR 2019, 887; ausdrücklich ablehnend zu diesem neuen Ansatz hingegen OLG Düsseldorf VersR 2019, 1165; OLG Celle VersR 2019, 1157; OLG München zfs 2020, 200; Ernst/Lang, VersR 2019, 1122; Slizyk, Anm. zu OLG Frankfurt NZV 2019, 351, 357; differenzierend Lüttringhaus/Korch, VersR 2019, 973).
d) Gemeinsames der Schmerzensgeldtabellen
Rz. 158
Der Begriff "Tabelle" ist eigentlich falsch. Es handelt sich immer nur um eine Rechtsprechungssammlung. Sie bildet lediglich Anhaltspunkte und einen Orientierungsrahmen zur Schätzung der Schmerzensgeldhöhe gem. § 287 ZPO.
Rz. 159
Für die außergerichtliche und gerichtliche Schmerzensgeldregulierung sind derartige "Tabellen" aber von unschätzbarem Wert. Allerdings lassen sich auch in ihnen nie völlig identische Verletzungsbilder finden. Daher können die darin genannten Entscheidungen wiederum ihrerseits nur als Orientierungshilfen dienen, einen angemessenen Schmerzensgeldbetrag zu ermitteln und Argumentationshilfen zu schaffen.
Rz. 160
Ob bei älteren Entscheidungen allein eine sich an der Geldentwertung orientierende Indexierung genügt, eine brauchbare Bewertung von vergleichbaren Fällen zu gewinnen, kann nur eingeschränkt bejaht werden. Damit würde nicht der Tendenz zur zusätzlichen Erhöhung von Schmerzensgeldbeträgen entsprochen.
Rz. 161
Als zusätzliche Fehlerquelle kommt bei Altentscheidungen in Betracht, dass damals die Gerichte noch irrig davon ausgingen, den von dem Schmerzensgeldkläger genannten Betrag nicht überschreiten zu dürfen. Die dem Richter eingeräumte Möglichkeit zur Überschreitung des als Mindestbetrag des Schmerzensgeldes angegebenen Antrages ist erst im Jahre 1996 durch den BGH klargestellt worden (BGH VersR 1996, 990; BGH VersR 1999, 902; v. Gerlach, VersR 2002, 525 ff.; Diehl, zfs 2007, 11). Es wäre daher zu begrüßen, wenn die Herausgeber von Schmerzensgeldtabellen ältere Entscheidungen nicht mehr aufführen würden, weil deren Aussagekraft für heutige Fallkonstellationen nur begrenzt ist.
Rz. 162
Tipp
Bei der Heranziehung von Vergleichsfällen zur Begründung von Schmerzensgeldforderungen, die älter als 10 Jahre...