Rz. 49
Ausgangspunkt bei der Verfolgung eines Schmerzensgeldanspruchs ist der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs (BGH zfs 2006, 381). Er gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (BGH VersR 1961, 164 f.; BGH v. 10.7.2018 – VI ZR 259/15 – VersR 2018, 1462). Lediglich solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Rechtsfolge nicht umfasst und können deshalb Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld sein (BGH a.a.O.; Prütting/Gielen, NZV 1989, 329, 330).
Rz. 50
Ob Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erkennbar waren, beurteilt sich nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien oder der Vollständigkeit der Erfassung des Streitstoffes durch das Gericht, sondern allein nach objektiven Gesichtspunkten, das heißt nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen (BGH a.a.O.; OLG Köln zfs 1992, 82; OLG Oldenburg VersR 1997, 1541; OLG Köln VersR 1997, 1551; OLG Düsseldorf OLGZ 1994, 546, 548 f.; OLG Koblenz OLGR 2005, 120, 121).
Rz. 51
Maßgebend ist, ob sich bereits in jenem Verfahren eine Verletzungsfolge als derart nahe liegend darstellte, dass sie schon damals bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnte (BGH a.a.O.; OLG Stuttgart NJW-RR 1999, 1590, 1591; Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Auflage, § 847 Rn 51).
Rz. 52
Der Anspruch ist grundsätzlich unteilbar. Der Schmerzensgeldanspruch darf damit nicht in zeitliche Teilabschnitte zerlegt werden (OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 927), etwa dergestalt, dass lediglich die bis zum Ende der letzten mündlichen Verhandlung eingetretenen Beschwerden zu berücksichtigen sind.
Rz. 53
Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die zulässige sog. offene Schmerzensgeldteilklage. Diese bedeutet, dass sämtliche bereits eingetretenen Schadensfolgen berücksichtigt werden, und zwar bei Dauerschäden auch für die Zukunft, und nur bestimmte ungewisse Verschlechterungen ausgeklammert werden, die für die Zukunft zusätzlich als möglich erscheinen (dazu Terbille, VersR 2005, 37 unter Hinweis auf BGH VersR 2004, 1334, 1335 sowie BGH VersR 2001, 876). Wegen der grundsätzlichen Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs muss der Kläger in seiner Klagebegründung das Vorliegen einer solchen offenen Schmerzensgeldteilklage ausdrücklich betonen (Terbille, a.a.O.).
Rz. 54
Der Schmerzensgeldantrag umfasst damit alle vergangenen und die künftigen Schadensfolgen, die aus der Sicht eines Fachmanns mit Sicherheit eintreten werden, wobei Beurteilungszeitpunkt der der letzten mündlichen Verhandlung ist (Diehl, zfs 2008, 14 mit Hinweis auf OLG Stuttgart NJW-RR 2003, 969; OLG Oldenburg NJW-RR 1988, 615). Bei nicht abgeschlossener Schadensentwicklung ist der Geschädigte damit zur Sicherung seiner Ansprüche gehalten, auf Leistung des Schmerzensgeldes insoweit zu klagen, als die hierfür erforderlichen Bemessungsfaktoren gesichert sind, im Übrigen die Einstandspflicht für die Zukunft feststellen zu lassen.
Rz. 55
Riskant für den Geschädigten ist dabei der Umstand, dass die Frage der Vorhersehbarkeit von Spätschäden aus der Sicht eines Fachmanns beurteilt wird, sodass dem Gericht, den Parteien und ihren Anwälten der Abgeltungsumfang nicht mit letzter Gewissheit bekannt ist (Diehl, a.a.O.; BGH VersR 1982, 703 f.). Für den weiten Bereich möglicher, aber nicht gewisser Spätschäden sichert die oben genannte offene Schmerzensgeldteilklage in Verbindung mit einem Feststellungsantrag Nachforderungsrechte und verhindert den Eintritt der Verjährung des zusätzlichen Schmerzensgeldanspruchs.
Rz. 56
Ob mögliche Zukunftsschäden statt ihrer Sicherung durch ein Feststellungsbegehren zur Vorbereitung eines Nachforderungsrechtes mit einem Zuschlag von 25 % auf das im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als angemessen angesehene Schmerzensgeld abgegolten werden können, ist umstritten (Diehl, a.a.O. m.w.N.). Statt eines die Verjährung hindernden Feststellungsurteils können die Parteien ein titelersetzendes schriftliches Anerkenntnis wählen. Haben die Parteien vereinbart, dass der Geschädigte die Stellung erhalten solle, die er bei einem rechtskräftigen Feststellungsurteil hätte, ist der Geschädigte ausreichend gegen den Eintritt der Verjährung gesichert (Diehl, a.a.O. m.w.N.).
a) Unbezifferter Klageantrag
Rz. 57
Nach ständiger Rechtsprechung kann das Schmerzensgeld im Rahmen eines unbezifferten Klageantrages gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geltend gemacht werden, d.h. die Höhe des Schmerzensgeldes kann in das Ermessen des Gerichtes gestellt werden.
b) Schmerzensgeldvorstellungen
Rz. 58
Allerdings benötigt der Richter als ...