Rz. 371
Problematisch sind hingegen die Fälle, in denen ein Familienangehöriger die Pflegeleistung erbringt. Der Schädiger ist gem. § 843 Abs. 1 BGB verpflichtet, einem Geschädigten im Rahmen des Ersatzes vermehrter Bedürfnisse die ihm gegenüber unentgeltlich erbrachte Pflegetätigkeit angemessen abzugelten, soweit sie über die üblicherweise im Krankheitsfall zu erwartende persönliche Zuwendung innerhalb der Familie hinausgeht (BGH v. 28.8.2018 – VI ZR 518/16 – VersR 2019, 51; OLG Celle VersR 2019, 1157).
Rz. 372
Der BGH hat insoweit jüngst entschieden, dass die dem Geschädigten gegenüber unentgeltlich erbrachte Pflegetätigkeit durch nahe Angehörige im Rahmen des Erforderlichen gem. § 843 Abs. 1 Fall 2 BGB unabhängig davon angemessen abzugelten ist, ob diese einen Verdienstausfall erlitten haben. Die Höhe des zu ersetzenden Schadens richte sich dabei grundsätzlich nach dem Nettolohn einer vergleichbaren entgeltlich eingesetzten Pflegekraft und regelmäßig nicht nach dem entgangenen Verdienst des Angehörigen (BGH v. 9.4.2019 – VI ZR 377/17 – VersR 2019, 1033). Da häusliche Pflege aber mit weniger Aufwand zu betreiben und in keiner Weise zu versteuern ist, musste bislang (BGH VersR 1989, 1273 m.w.N.) von dem Nettobetrag einer vergleichbaren Ersatzkraft nach TVÖD ausgegangen werden. Als Grundlage diente meistens TVÖD E.-Gr. 1 bis 5, je nach Größe des Haushaltes und der sozialen Stellung.
Rz. 373
Der Geschädigte muss sich aber keinesfalls auf das beschränkte Maß des Leistungsumfanges verweisen lassen, welches die Träger für Sozialleistungen als durchschnittlich ausreichend gewähren. Er hat gegenüber dem Schädiger Anspruch auf Ersatz des vollen erforderlichen Aufwandes zum Ausgleich seines individuellen Schadens, ohne dass eine generelle Obergrenze existiert (BGH v. 28.8.2018 – VI ZR 518/16 – VersR 2019, 51).
Rz. 374
Die von der unterhaltspflichtigen Mutter erbrachten Pflegeleistungen für ein durch einen Unfall geschädigtes Kind lassen auch dann dessen Anspruch gegen den Schädiger wegen vermehrter Bedürfnisse gem. § 843 BGB unberührt, wenn bei dem Unfall eine Verletzung der Obhutspflicht der Mutter mitgewirkt hat. Die Mutter erfüllt durch ihre Pflegeleistungen nicht eine deliktische Haftung aufgrund ihrer Obhutspflichtverletzung, sondern erbringt die Leistungen zur Pflege ihres Kindes allein aufgrund ihrer unterhaltsrechtlichen Verpflichtung. Die Erfüllungswirkung bei Leistung auf eine Gesamtschuld nach § 422 Abs. 1 BGB kommt deshalb nicht in Betracht (BGH zfs 2004, 506 f.).
Rz. 375
Im Verhältnis zwischen dem Schadensersatzanspruch wegen vermehrter Bedürfnisse und dem Unterhaltsanspruch fehlt es an der inhaltlichen Gleichheit der geschuldeten Leistung. Zwischen den Ansprüchen besteht auch keine Gleichstufigkeit und sie dienen nicht demselben Zweck. Während der Unterhalt den laufenden Lebensbedarf des Unterhaltsgläubigers decken soll, deckt die Schadensrente schadensbedingte Mehraufwendungen.