Rz. 92

M bittet die Medianten, sich untereinander zu verständigen, wer nun beginnt. Im Einverständnis aller Beteiligten beginnt Frau G. Sie möchte von dem Geld keine Weltreise machen und sich auch nicht daran bereichern. Ihr sei schon klar, dass das Geld sie auch nicht wieder gesund machen kann. Der Hauskredit würde jeden Monat 1.000,00 EUR kosten, 100,00 EUR mehr, als sie selbst verdient habe. Das sei aber vom Einkommen ihres Mannes her durchaus möglich. Seit mehr als 1,5 Jahren würden das Krankengeld und nun das Arbeitslosengeld nicht ausreichen, um ihren Anteil abzudecken. Der Unfall hätte viele Unkosten verursacht, für die der Vorschuss ebenso wie die meisten Ersparnisse nun verbraucht seien. Auch habe sie hin und wieder ihrer Mutter etwas zugesteckt, die doch schließlich jeden Tag nun den Haushalt machen würde und sich außerdem um die persönliche Pflege von Frau G kümmern müsste. Frau G möchte, dass die Familie im Eigenheim wohnen bleiben kann und ihre eigene Zukunft finanziell abgesichert ist. Sie mache sich auch Sorgen darüber, wie es finanziell werden wird, wenn sie einmal im Rollstuhl landet. Sie befürchtet, dass die Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung dafür nicht ausreichen. Frau G hat große Angst davor, ihren eigenen Kindern eine finanzielle Last zu werden. Unter Tränen sagt sie, jede Nacht in schrecklichen Albträumen aufzuwachen, den Knall zu hören und das Gefühl des Eingeklemmtseins zu erleben. Sie könne doch nichts dafür, dass sie jetzt ein Krüppel sei. Sie habe sich das schließlich nicht ausgesucht und sei auch völlig unschuldig, dass der Herr S in sie rein gefahren sei. Niemand hier könne sich vorstellen, wie es sei, wenn man in der Blüte seines Lebens plötzlich mit dem Rücken an der Wand stehe – und alles völlig unschuldig. M hört Frau G aktiv zu. Immer wieder fasst er zusammen, wiederholt, paraphrasiert und verbalisiert, was er verstanden hat. Frau G meldet die Richtigkeit des Verstandenen zurück. M bittet Frau G zu sagen, was passieren müsse, damit sie die Gefühle von Zukunftsangst und Verletztheit loswerde. Frau G erklärt, dass sie finanziell abgesichert sein müsse, um der Familie nicht zur Last zu fallen und außerdem meint sie, dass es durchaus an der Zeit sei, dass sich Herr S einmal bei ihr entschuldigt. Nur weil ihm sein Anwalt gesagt habe, dass die Versicherung alles regeln würde, sei Herr S damit noch lange nicht durch. M wiederholt auch das noch einmal, bevor er sich an GL und S wendet, was ihre Motive seien, die hinter dem Streit stünden.

 

Rz. 93

GL führt aus, dass es seine Aufgabe als Vertreter des Versicherers sei, die Ansprüche der Frau G mit Geld zu regulieren. Ihm sei durchaus klar, dass Frau G dadurch ihre Gesundheit nicht zurück erhalten würde, aber Geld sei die Währung, die der Gesetzgeber erfunden hätte, um in solchen Situationen einen Ausgleich herbeizuführen. Ihm und seiner Gesellschaft würde es darum gehen, Frau G denjenigen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, der für die Verletzungen und Verletzungsfolgen rechtlich geschuldet sei. Wichtig sei bei alledem jedoch, dass die Schadensregulierung nun in einer überschaubaren Zeit abgeschlossen werde. Sein Kollege im Innendienst hätte schließlich jede Menge andere Akten zu bearbeiten und letztlich würden hohe Verwaltungskosten auflaufen, wenn sich die Schadensregulierung noch Jahre hinziehe oder gar ein gerichtliches Verfahren daraus erwachsen würde. Damit das klar sei: Er wolle nicht die berechtigen Ansprüche von Frau G kürzen, sondern nach ihrer rechtlichen Sichtweise überzogene Ansprüche abwehren und die Verwaltungskosten im Hause gering halten. M wiederholt das Verstandene, er fasst zusammen, paraphrasiert und verbalisiert. GL bestätigt M gegenüber die Richtigkeit des Verstandenen.

 

Rz. 94

M schaut Herrn S an und bevor er ihn ansprechen kann, bricht es schon aus ihm heraus. "Frau G, ich habe ja nicht gewusst, wie schwer Sie verletzt waren. Ich habe zwar meinen Anwalt gefragt, aber der hat mir nichts dazu sagen können. Dann bin ich zu meinem Versicherungsvertreter gegangen und der hat gesagt, dass es nicht meine Sache wäre, mich um die Unfallangelegenheit zu kümmern. Dafür sei die Spezialabteilung in Frankfurt zuständig, die sich schon mit mir in Verbindung setzen würde, wenn sie noch etwas von mir wissen wollen. Frau G, glauben Sie mir, ich habe wirklich nicht gewusst, wie das Leben dann für Sie weitergegangen ist. Es tut mir sehr, sehr leid, was hier geschehen ist. Ich möchte mich aufrichtig bei Ihnen entschuldigen und weiß, dass ich das nie wieder gutmachen kann. Ich habe für mich daraus gelernt, dass ich nie wieder emotional aufgewühlt Auto fahre. Bitte sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann. Ich meine damit nicht eine Geldzahlung, weil dafür Herr GL zuständig ist. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an. Es tut mir sehr leid, wenn ich sehe und höre, was Ihnen durch meine Unaufmerksamkeit widerfahren ist." Dann kreuzen sich die Blicke von Herrn S und Frau G erstmals am heutigen Tage: Frau G sagt zunächst...

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