Andre Naumann, Christian Brinkmann
Rz. 1
Den VN, die VP und den VR treffen besondere Vertragspflichten, die Obliegenheiten genannt werden. Obliegenheiten sind Rechtsgebote im eigenen Interesse, deren Wahrung dem Träger der Obliegenheit zwar frei steht, der aber die Folgen der Nichtbeachtung (z.B. keine Versicherungsdeckung) zu tragen hat. Obwohl die Obliegenheit keine einklagbare Rechtspflicht ist, sondern ein Rechtsgebot, kann man insoweit aber von einer Verpflichtung sprechen. Die Aufklärungs- und Informationspflichten des VR werden in Kapitel § 10 (siehe § 10) besprochen.
Hinweis
Aus Gründen der Verständlichkeit orientiert sich die Darstellung an der Systematik des VVG a.F., auch wenn das VVG n.F. (ab 1.1.2008) die Differenzierung zwischen vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzungen und Obliegenheitsverletzungen nach einem Schadenfall hinsichtlich der Rechtsfolgen grundsätzlich nicht mehr vorsieht.
I. Vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung
1. Allgemeines
Rz. 2
Die vorvertragliche Anzeigeobliegenheit bzw. Anzeigepflicht des VN ist von erheblicher praktischer Bedeutung, da der VR bei Antragstellung des VN richtige Angaben benötigt (etwa zu etwaigen Vorerkrankungen, Vorunfällen oder sonstigen bestehenden Unfallversicherungen), um eine Risikoabschätzung und Prämienkalkulierung vornehmen oder die Vereinbarung besonderer Bedingungen prüfen zu können.
Durch das neue Recht zu den vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten sind für den VN eine Reihe von Verbesserungen in diesem Bereich eingetreten. Die Änderungen sind ein Kernstück der VVG-Reform.
2. Anzeigepflicht nach neuem Recht, § 19 VVG n.F./Ziff. 13 AUB 08
Rz. 3
Nach § 19 Abs. 1 S. 1 VVG n.F., Ziff. 13 AUB 2008 hat der VN solche gefahrerheblichen Umstände anzuzeigen, die ihm bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung bekannt waren und nach denen der VR in Textform (vgl. § 126b BGB) gefragt hat.
Damit ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Erfüllung der Anzeigeobliegenheit nach neuem Recht nicht mehr derjenige des Vertragsschlusses gemäß § 16 Abs. 1.S. 1 VVG a.F., sondern die Abgabe der Vertragserklärung des VN, also regelmäßig der Zeitpunkt seines Antrags.
Zudem ist ohne eine entsprechende Nachfrage des VR in Textform eine Anzeigepflichtverletzung durch nicht mitgeteilte Umstände seitens des VN nicht möglich.
Anzeigepflichtig ist neben dem VN auch die VP (vgl. Ziff. 12.1 AUB 08/99). Hat der VN einen Vertreter eingeschaltet, so muss er sich dessen Kenntnis von gefahrerheblichen Umständen zurechnen lassen, Ziff. 13.1 AUB 08, § 20 VVG n.F.
Rz. 4
Die vorvertragliche Anzeigepflicht auf Fragen des VR erstreckt sich nur auf gefahrerhebliche Umstände. Darunter sind solche Umstände zu verstehen, die den Entschluss des VR, ob ein Vertrag überhaupt oder mit dem vorgesehenen Inhalt abgeschlossen werden soll, beeinflussen können.
Beispiel
Eine Anzeigepflichtverletzung ist nicht gegeben, wenn der VN auf die Frage nach Vorerkrankungen und Gebrechen keine Angaben zu belanglosen Krankheiten oder Verletzungen macht, wie etwa Erkältungen oder leichte Prellungen/Verstauchungen.
Rz. 5
Die Gefahrerheblichkeit des Umstandes muss objektiv vorgelegen haben, so dass Fragen unwirksam sein können, die zu allgemein gehalten sind oder sich auf Vorerkrankungen ohne zeitliche Befristung (z.B. auf die letzten 5 bis 10 Jahre) beziehen. Insoweit sollte der VR Antragsfragen möglichst konkret formulieren, da der VN zu unwirksamen Fragen keine Angaben machen muss.
Hinweis
Der Anwalt sollte in diesem Zusammenhang auch darauf achten, ob Fragen nach Vorerkrankungen oder Gebrechen beispielhaft oder abschließend aufgezählt sind. Stellt sich die Aufzählung für den VN als abschließend dar, so besteht bzw. bestand keine Verpflichtung, andere Erkrankungen oder Gebrechen anzugeben.
Rz. 6
Zwar sind auch "weite" Fragen etwa im Sinne von Auffangfragen möglich, aber für den VR risikoreich. Entscheidend ist letztlich, ob der VN erkennen kann, welche konkreten Angaben von ihm erwartet werden. Hierfür trägt der VR das Risiko.
Beispiel
Fragt der VR allgemein nach sonstigen "Beschwerden" des VN, so muss dieser z.B. eine vorliegende "Adipositas" (krankhaftes Übergewicht) nicht angeben, da diese für ihn nicht ohne weiteres unter "Beschwerden" zu subsumieren ist. Der VR müsste hier konkret nach Größe und Gewicht oder dem Body-Maß-Index (BMI) des VN fragen.
Rz. 7
Im Übrigen ist stets im Sinne einer Einzelfallprüfung zu klären, ob der VN bestimmte Umstände auf eine Antragsfrage hin hätte angeben müssen und welcher Verschuldensmaßstab gegebenenfalls anzunehmen ist.
Rz. 8
Eine Anzeigepflichtverletzung liegt vor, wenn der VN die Fragen des VR zu den gefahrerheblichen Umständen unrichtig oder unvollständig beantwortet (Ziff. 13.2.1 AUB 08). Die Entscheidung hierüber hängt auch von der Fragestellung ab. Je konkreter die Frage formuliert ist, desto weniger "Spielraum" bleibt dem VN und umso höher wird der Verschuldensgrad bei einer fehlerhaften Auskunft einzuschätzen sein. Hat der VR etwa konkret oder beispielhaft nach einer be...