Rz. 52

 

Ziff. 8 AUB 08/99

§ 10 AUB 94/88

§ 17 AUB 61

1. Alles-oder-Nichts-Prinzip

 

Rz. 53

Das alte VVG gilt bei Schäden bis zum 31.12.2008 dann weiter, wenn der Vertrag vor dem 1.1.2008 abgeschlossen wurde. Es besteht hier das Alles-oder-Nichts-Prinzip, § 6 Abs. 3 VVG a.F. Danach verliert der VN bei einer Obliegenheitsverletzung den Leistungsanspruch entweder komplett oder er behält ihn in vollem Umfang.

Dieses starre System führte in Einzelfällen zu unbilligen Entscheidungen, was letztlich den Gesetzgeber bei der Neufassung des VVG zur Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips bewog. Da Obliegenheitsverletzungen überwiegend in einem frühen Stadium der Schadenregulierung auftreten und somit nur noch Einzelfälle nach dem VVG a.F. zu beurteilen sind, wird hier nur kurz die alte bisherige Rechtslage dargestellt.[40]

[40] Zur alten Rechtslage Grimm, Ziff. 8.

2. Relevanz

 

Rz. 54

Verletzt der VN nach Eintritt eines Unfalles eine von ihm zu erfüllende Obliegenheit vorsätzlich, bleibt der Versicherungsschutz nur dann bestehen, wenn die Verletzung weder Einfluss auf die Feststellung des Leistungsfalls noch auf die Bemessung der Leistung gehabt hat. Bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung entfällt der Versicherungsschutz, es sei denn, den VN trifft kein erhebliches Verschulden oder die Obliegenheitsverletzung war nicht geeignet, die Interessen des VR ernsthaft zu beeinträchtigen. Bei einfacher Fahrlässigkeit bleibt der Versicherungsschutz erhalten.

 

Rz. 55

Der BGH hat mit der sog. Relevanzrechtsprechung Leitlinien aufgestellt, mit denen die Leistungsfreiheit bei (folgenlosen) Obliegenheitsverletzungen eingeschränkt wird. Danach ist für eine Leistungsfreiheit erforderlich, dass die Obliegenheitsverletzung die Interessen des VR ernsthaft gefährdet und ein erhebliches Verschulden des VN vorliegt.[41] Die Leistungspflicht des VR bleibt allerdings nur dann bestehen, wenn bei der Feststellung des Versicherungsfalls oder des Schadenumfangs keine Nachteile für ihn entstanden sind.[42] Als Nachteil reicht bereits ein auch nur vorübergehender Aufklärungsnachteil aus.[43] Allerdings führen bezüglich einer Interessengefährdung des VR generell ungeeignete Verstöße oder solche, für die den VN kein erhebliches Verschulden (also nur einfache Fahrlässigkeit) trifft, nicht zur Leistungsfreiheit des VR.[44]

Es ist eine drucktechnisch hervorgehobene Belehrung[45] über den möglichen Anspruchsverlust selbst bei einer folgenlos bleibenden Obliegenheitsverletzung erforderlich.[46] Bei arglistiger Obliegenheitsverletzung bedarf es keiner Belehrung, um die Leistungsfreiheit des VR herbeizuführen.

 

Rz. 56

 

Beispiel

In der Rechtsprechung wurden als relevante Obliegenheitsverletzungen und somit zum Anspruchsverlust führende Falschangaben z.B. angesehen:

Das Verschweigen von Vorerkrankungen oder früheren Verletzungen des vom Unfall betroffenen Körperteils.[47]
Verschweigen von Vorschäden trotz konkreter Fragen nach ärztlichen Behandlungen.[48]
Nichtangabe anderer Unfallversicherungen, selbst bei in der Sache unstreitigem Unfallgeschehen.[49]
Grob fahrlässig verspätete Anzeige des Unfalls.[50]
[41] Grimm, Ziff. 8 Rn 5.
[42] BGH v 7.7.2004 – ZR 265/03, VersR 2004, 1117.
[43] BGH v. 30.11.1977 – IV ZR 42/15, VersR 1978,121; BGH v. 19.3.1981 – IVa ZR75/80, VersR 1981, 625.
[44] BGH v. 7.12.1983 – IVa ZR 231/81, VersR 1984, 228, 229; BGH v. 21.1.1998 – IV ZR 10/97, VersR 1998, 447.
[45] OLG Hamm v. 16.3.1998 – 6 U 161/97, VersR 1999, 89; OLG Köln v. 5.6.2007 – 9 U 37/06, VersR 2008, 243.
[47] OLG Köln v. 25.5.1987 – 5 U 255/86, r+s 1988, 243; LG Regensburg v. 21.4.2004 – S 43/04, r+s 2006, 124; zur Unbeachtlichkeit von folgenlos ausgeheilten Kinderunfällen OLG Frankfurt v. 14.2.2001 – 7 U 182/96, VersR 2001, 1149.
[48] OLG München v. 16.10.1990 – 18 U 3183/90, zfs 1991, 173; LG Arnsberg v. 21.8.2003 – 1 O 119/03, VersR 2004, 1405.
[49] BGH v.24.6.1981 – IVa ZR 133/80, VersR 1982, 182; LG Konstanz v. 22.12.1993 – 5 O 196/93, VersR 1995, 1082.
[50] OLG Köln v. 24.1.1991 – 5 U 106/90, zfs 1991, 172.

3. Beweisfragen

 

Rz. 57

Der VR muss die objektive Obliegenheitsverletzung beweisen. Nach § 6 Abs. 3 VVG a.F. wird Vorsatz vermutet. Der VN muss beweisen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Als Kausalitätsgegenbeweis muss der VN außerdem darlegen, dass eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung folgenlos geblieben ist.[51]

[51] BGH v. 21.4.1993 – IV ZR 33/92, VersR 1993, 830.

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