Andre Naumann, Christian Brinkmann
1. Vertragsschluss ab dem 1.1.2008
a) Allgemeines
Rz. 58
Mit dem VVG n.F. wurde das Alles-oder-Nichts-Prinzip aufgegeben und die Folge von Obliegenheitsverletzungen in Bezug zur Schwere des individuellen Fehlverhaltens des VN bzw. der VP gesetzt, § 28 Abs. 2, 3 VVG n.F. Damit wurde auch die Relevanzrechtsprechung im Gesetz berücksichtigt, was die VR mit der Versehensklausel (siehe Rn 44 ff.) bereits vor der VVG-Reform umzusetzen versuchten. Es wird dabei wie folgt unterschieden:
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Leichte Fahrlässigkeit bleibt ohne Folgen |
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Grobe Fahrlässigkeit führt zu einer Quotelung des Anspruchs |
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Vorsatz führt zum Verlust des Anspruchs |
Bei Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten ist eine Belehrung über die möglichen Folgen einer Obliegenheitsverletzung (vgl. § 10 Rn 19) erforderlich.
Hinweis
Während in Massensparten wir der Haftpflicht- und Kraftfahrzeugversicherung die Probleme der neuen gesetzlichen Regelung die Gerichte beschäftigen, sind Urteile zur Quotelung im Bereich der privaten Unfallversicherung zumindest bisher noch nicht veröffentlicht worden. In der Literatur finden sich auch weit überwiegend Ausführungen zu Schadenversicherungen.
b) Feststellung des Verschuldensgrades
Rz. 59
Praxisrelevant ist insbesondere die richtige Qualifizierung der einzelnen Verschuldensformen. Für die Beurteilung des individuellen Verschuldens kommt es bei Auskunftsobliegenheiten maßgeblich auf die konkrete Fragestellung des VR an. Sind die Fragen weit gefasst, so ist bei einer falschen Beantwortung der Frage eine geringerer Schwere des Verschuldens anzunehmen als bei einer konkreten Frage, die etwa mit Beispielen noch erläutert wird (vgl. Rn 6 f.).
Auch ist individuell auf den VN abzustellen, also etwa zu prüfen, ob er die Fragestellung verstehen konnte und in welcher Beziehung zum Unfallschaden die geforderte Auskunft konkret steht. Es wird sich hier erst in der Praxis herausbilden müssen, wie die Einteilung des Verschuldensgrades genau erfolgen soll. Als mögliche Kriterien sind z.B. auch zu beachten:
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Wirtschaftliches Interesse an der Schadenzahlung |
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Schadenhöhe |
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Alter und Verständnismöglichkeit des VN |
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Gesundheitszustand der VP |
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Spezifische Kenntnisse des VN zur Unfallversicherung |
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Vorschäden am jetzt betroffenen Körperteil |
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Motivation zur Obliegenheitsverletzung |
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Art der Fragestellung |
c) Kausalität und Kausalitätsgegenbeweis
Rz. 60
Eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Obliegenheitsverletzung führt nur dann zur Leistungskürzung, wenn die Verletzung für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls bzw. für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ursächlich war, § 28 Abs. 2 S. 1 VVG n.F. Es muss dem VR also ein Nachteil durch die Obliegenheitsverletzung entstanden sein. Erforderlich ist eine konkrete Kausalität, eine generelle Eignung zur Gefährdung der Interessen des VR genügt nicht. Ausreichend sind bereits Nachteile bei den erforderlichen Feststellungen des VR zum Schaden. Hat also z.B. der VR einen Bericht nicht oder erst erheblich später angefordert, so hat er hierdurch einen Nachteil erlitten. Unerheblich ist dabei, dass der VR den erlittenen Nachteil im weiteren Regulierungsablauf wieder (inhaltlich) kompensieren kann. Es bedarf nicht zwingend auch einer tatsächlich zu viel erbrachten Leistung, allerdings kann der VR dann nur die entstandenen Mehraufwendungen ersetzt verlangen.
Beispiel
Der VN gibt einen anderen VR nicht an.
Nach bisheriger Rechtsprechung führte dies zum Verlust des Versicherungsschutzes, da dies generell geeignet war, die Interessen des VR zu gefährden.
Nach neuem Recht steht hier dem VN die Beweismöglichkeit zu, dass eine solche Nichtangabe im konkreten Einzelfall zu keinem Nachteil geführt hat.
d) Leichte Fahrlässigkeit
Rz. 61
Eine einfach fahrlässige Obliegenheitsverletzung kann nicht sanktioniert werden. Eine leichte Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn auch einem ordentlichen VN der Fehler leicht unterlaufen wäre und ein einsichtiger VR hierfür Verständnis aufbringen müsste.
e) Grobe Fahrlässigkeit (Quotelung)
aa) Allgemeines
Rz. 62
Grobe Fahrlässigkeit wird gesetzlich vermutet, § 28 Abs. 2 S. 2 VVG n.F. Bei grob fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit ist der VR berechtigt, die Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechendem Verhältnis zu kürzen. Dies gilt jedoch nur, wenn durch gesonderte Mitteilung in Textform auf diese Rechtsfolgen hingewiesen wurde, § 28 Abs. 4 VVG n.F. Weist der VN nach, dass er die Obliegenheit nicht grob fahrlässig verletzt hat, bleibt der Versicherungsschutz bestehen; gleiches gilt bei fehlender Kausalität.
Rz. 63
Bei der Kürzung einer Leistung wird man entsprechend der Regelung zur Mitwirkung eine Quote für jede betroffene Leistungsart gesondert prüfen müssen, da z.B. die Nichtangabe eines Diabetes zwar für eine Leistung wie das Tagegeld kausal sein kann, für die unmittelbar nach dem Unfall erfolgte Rettung m...