Dr. iur. Holger Bremenkamp, Dr. Fernanda Bremenkamp
Rz. 54
Dem Geschädigten obliegt es zu beweisen, dass eine Rechtsgutverletzung eingetreten ist, die auf einen Fehler des Produkts zurückzuführen ist, und dass dieser Fehler aus dem Herrschafts- und Verantwortungsbereich des Herstellers stammt.
Rz. 55
Hierbei können Beweiserleichterungen zugunsten des Verletzten eingreifen: Handelt es sich bei dem Schaden um die typische Folge eines Produktmangels, kommt ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen eines Produktfehlers und dessen Schadensursächlichkeit in Betracht. Es muss nach der allgemeinen Lebenserfahrung sehr wahrscheinlich sein, dass der Produktfehler Ursache des Schadens war. Die Grundsätze des Anscheinsbeweises können auch anwendbar sein, wenn ein Produkt – entgegen seiner Bestimmung – bereits nach kurzer Benutzungszeit schadhaft wird und dadurch eine Rechtsgutverletzung eintritt. Bleibt hingegen offen, ob der Schaden auf einem Produktmangel oder vielmehr auf der unsachgemäßen Verwendung bzw. einer Veränderung des Produkts nach Inverkehrbringen beruht, und könnte mithin der gefahrbringende Zustand auch erst nach dem Verlassen des Herstellungsbetriebs entstanden sein, greift keine Vermutung zugunsten des Geschädigten ein.
Rz. 56
Nur ausnahmsweise tritt eine Beweislastumkehr auch zur Herkunft des Fehlers aus dem Herstellerbereich ein, wenn nämlich der Hersteller gegen eine Befund- bzw. Statussicherungspflicht verstoßen hat. So kann bei Mehrwegflaschen, die aufgrund eines Materialfehlers der Glaswandung explodieren, häufig nicht geklärt werden, ob der Materialfehler bereits vor dem Verlassen des Abfüllbetriebs oder erst danach entstanden war. Wegen des besonderen Risikos schwerer Schäden bei Mehrfachverwendung druckgefüllter Glasflaschen nahm der BGH aber eine Verpflichtung an, jede gebrauchte Mehrwegflasche vor dem Wiederbefüllen auf ihre Berstsicherheit zu prüfen und den Befund in dem Sinne zu sichern, dass alle defekten Produkte ausgesondert werden. Fehlt eine solche "Statussicherung" und wird dadurch die Aufklärung des Ursachenzusammenhangs erschwert, so soll eine Beweislastumkehr gerechtfertigt sein: Nicht der Geschädigte muss dann beweisen, dass die Flasche schon im Zeitpunkt des Inverkehrbringens den Materialfehler aufwies, sondern der Hersteller ist mit dem Nachweis der Mangelfreiheit belastet. Befundsicherung im oben beschriebenen Sinne ist freilich nicht um ihrer selbst willen zu betreiben, sondern die geforderten Prüfungsmaßnahmen müssen zu einer "signifikanten Verringerung des Produktrisikos" führen; eine solche Risikoverringerung konnte das OLG Koblenz für zusätzliche Kontrollen neben der elektronischen Flascheninspektionsmaschine nicht feststellen. Da im Anwendungsbereich des ProdHaftG der Ausreißer-Einwand ausgeschlossen ist und das ProdHaftG seit dem 1.1.2002 auch einen Anspruch auf Schmerzensgeld eröffnet, dürfte es hierauf in der Praxis regelmäßig nicht mehr ankommen. Dass allerdings auch bei anderen Produkten eine Beweislastumkehr aufgrund der Verletzung einer Befundsicherungspflicht in Betracht kommen kann, hat der BGH in der Torfsubstrat-Entscheidung anklingen lassen.