Dr. iur. Holger Bremenkamp, Dr. Fernanda Bremenkamp
I. Herstellerpflichten
Rz. 11
Die deliktische Haftung knüpft stets an die Verletzung von Sorgfaltspflichten an, die deliktische Produkthaftung an einen Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Produkten. Allgemein bestehen Verkehrssicherungspflichten bei der Eröffnung einer Gefahrenquelle. Sie richten sich auf die Vornahme aller zur Abwendung der Gefahr erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen. Bei der Produkthaftung sind das Produkt und seine Verwendung die Gefahrenquelle: Wer Sachen herstellt und in Verkehr bringt, den trifft als verantwortlichen Hersteller die Pflicht, eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern und in den Grenzen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren dafür Sorge zu tragen, dass die Produkte sicher sind. Denn Abnehmer und Benutzer dürfen grundsätzlich auf die Unschädlichkeit von Produkten vertrauen, die in Verkehr gebracht wurden. Neben dem Herstellerunternehmen tragen ggf. auch Organmitglieder, leitende Angestellte und sonstige Mitarbeiter deliktsrechtliche Verantwortung; allerdings gilt die produkthaftungsrechtliche Beweislastumkehr nur für Unternehmensrepräsentanten.
Rz. 12
Nicht schon das Vorliegen eines Produktfehlers löst eine Haftung aus, sondern erst die schuldhafte Verletzung von gerade den Hersteller treffenden Verkehrspflichten. Deren Inhalt ist nach dem Erwartungshorizont der gefährdeten Benutzerkreise, nämlich danach zu bestimmen, welche Sicherungsmaßnahmen der durchschnittliche Abnehmer und Benutzer des Produkts bei objektiver Betrachtung für erforderlich und zumutbar halten darf. Daher sind je nach Benutzerkreis und Verbrauchererwartung unterschiedliche Anforderungen möglich, so etwa bei einem fachmännischen Benutzerkreis weniger strenge als bei typischer Produktbenutzung durch Laien. Bei Konsumgütern ist das Wissen und Gefahrsteuerungspotenzial des durchschnittlichen Konsumenten zu berücksichtigen. Auch darf der Hersteller von durchschnittlicher Eigenverantwortung des Verbrauchers ausgehen.
Rz. 13
Absolute Produktsicherheit muss nicht gewährleistet sein. Es muss auch nicht jede technisch mögliche Sicherheitsvorkehrung getroffen werden, sondern der Sicherheitsstandard ist auf das Mögliche und Zumutbare begrenzt: Der Nutzen der Sicherheitsmaßnahme in Gestalt verminderter Schäden muss in einem angemessenen Verhältnis zu ihren Kosten stehen. Maßgeblich für die Zumutbarkeit ist freilich insbesondere das Ausmaß der von dem Produkt ausgehenden Gefahr. Bei erheblichen Gefahren für Leib und Leben sind dem Hersteller weitergehende Sicherheitsmaßnahmen abzuverlangen als bei der Gefährdung bloßer Sachwerte. Richtet sich das Produkt an unterschiedliche Benutzergruppen, sind die Sicherheitsanforderungen an der Gruppe auszurichten, die am verletzlichsten ist.
Jedes Produkt muss daher die zu seiner Benutzung erforderliche Mindestsicherheit aufweisen; andernfalls darf es nicht in Verkehr gebracht werden, auch nicht zu einem besonders niedrigen Preis.
Rz. 14
Verkehrssicherungspflichten bestehen in allen Phasen des "Produktlebens", beginnend bei der Entwicklung (Konstruktionsbereich) über die Herstellung und Kontrolle (Fabrikationsbereich) sowie die Kunden- und Benutzerinformation beim Inverkehrbringen des Produkts (Instruktionsbereich) bis hin zur Beobachtung der Produktbewährung am Markt (Produktbeobachtungsbereich). Dementsprechend lassen sich die für den Hersteller maßgeblichen Verkehrssicherungspflichten in vier Fallgruppen zusammenfassen. Besonderheiten ergeben sich bei der Übertragung von Verkehrssicherungspflichten an Dritte.