Dr. iur. Holger Bremenkamp, Dr. Fernanda Bremenkamp
Rz. 71
Das auf der Grundlage der EG-Richtlinie 85/374/EWG am 1.1.1990 in Kraft getretene Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ProdHaftG) dient der Angleichung des Verbraucherschutzes in den Mitgliedstaaten. Mit der am 1.12.2000 in Kraft getretenen Novelle des ProdHaftG ist – vor dem Hintergrund der BSE-Krise – der frühere Haftungsausschluss für landwirtschaftliche Rohprodukte aufgehoben worden (wohl für ab dem 1.12.2000 in Verkehr gebrachte Produkte). Für Schadensfälle ab dem 1.1.2002 gewährt das ProdHaftG auch Schmerzensgeld (vgl. § 8 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG), womit eine wesentliche Schwäche des Gesetzes beseitigt ist.
Rz. 72
Voraussetzung für eine Schadensersatzpflicht des Herstellers nach § 1 ProdHaftG ist der Produktfehler als Ursache eines Personenschadens oder eines Schadens an einer anderen Sache, die gewöhnlich für den privaten Ge- und Verbrauch bestimmt und von dem Geschädigten hauptsächlich so genutzt worden ist. Nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG ist ein Produkt fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, berechtigterweise erwartet werden kann: Für die Beurteilung maßgeblich sind demnach einerseits die berechtigten Sicherheitserwartungen der Benutzer, andererseits aber die Benutzungserwartung des Herstellers. Der Fehler kann in einem Konstruktions-, Fabrikations- oder Instruktionsfehler bestehen; insoweit entspricht der Fehlerbegriff dem deliktsrechtlichen Fehlerbegriff. Dagegen ergeben sich aus dem ProdHaftG keine Produktbeobachtungs- oder Rückrufpflichten: Ist also das Produkt – nach dem Stand von Wissenschaft und Technik – fehlerfrei ausgeliefert, berührt eine spätere Weiterentwicklung des Wissensstandes nur den deliktsrechtlich haftenden Hersteller.
Rz. 73
Für (Computer-)Software ist umstritten, ob es sich dabei um ein Produkt i.S.d. § 2 S. 1 ProdHaftG handelt. Software für sich gesehen ist kein körperlicher Gegenstand, wie es der Wortlaut des § 2 ProdhaftG fordert. An die Verkörperung der Software auf einem Datenträger anzuknüpfen, erscheint willkürlich. Dann würde sich die Anwendbarkeit des Produkthaftungsrechts danach richten, ob die betreffende Software auf einer CD oder einem USB-Stick erworben oder aber im Internet heruntergeladen wurde. Diese begrifflichen Unschärfen beruhen darauf, dass das ProdHaftG (noch) nicht an die modernen Entwicklungen und insbesondere an die Digitalisierung angepasst worden ist. Die Europäische Kommission hat das für die Produkthaftungsrichtlinie festgestellt, sodass eine entsprechende Aktualisierung der Produkthaftungsrichtlinie in Aussicht steht.
Rz. 74
Die Haftung nach dem ProdHaftG ist verschuldensunabhängig. Allerdings stehen dem – hierfür beweisbelasteten – Hersteller Entlastungsmöglichkeiten nach § 1 Abs. 2 und 3 ProdHaftG offen: So ist nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 ProdHaftG die Ersatzpflicht des Herstellers ausgeschlossen, wenn der Fehler darauf beruht, dass das Produkt in dem Zeitpunkt, in dem es in den Verkehr gelangte, zwingenden Rechtsvorschriften entsprochen hat; eine DIN-Norm genügt insoweit aber nicht. Weiter kann der Hersteller einwenden, dass der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem er das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG). Dadurch sollen die Haftung für Entwicklungsrisiken hinsichtlich der Konstruktion eines Produkts ausgeschlossen und die verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers auf das objektiv Mögliche – nämlich die Verwertung des Gefahrenwissens im Zeitpunkt des Inverkehrbringens – begrenzt werden. Nicht entlasten kann sich der Hersteller dagegen mit dem sogenannten Ausreißereinwand. Die praktischen Unterschiede zur allgemeinen deliktischen Produkthaftung sind angesichts der von der Rechtsprechung entwickelten strengen Sorgfaltsanforderungen und Beweiserleichterungen im Ergebnis aber gering.
Rz. 75
In § 4 Abs. 1 ProdHaftG wird der Begriff des Herstellers und der ihm gleichgestellten Personen definiert. Hersteller in diesem Sinne ist z.B. auch ein Landwirt, der im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebs geerntetes Heu zu Silage für die Pferdefütterung verarbeitet. Grundsätzlich sollen alle am Produktionsprozess Beteiligten als Haftungsschuldner in Betracht kommen, um so eine lückenlose Haftungskette zu gewährleisten (jedoch keine Haftung des Bauhandwerkers aus dem ProdHaftG). Neben dem Hersteller im engeren Sinn tritt also zum einen der Zulieferer von Einzelteilen, dem die spezielle Entlastungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 3 ProdHaftG für den Fall offen steht, dass der Fehler erst durch Einarbeitung in ein anderes Produkt entstanden oder durch Anleitungen des Herstellers des Folgeprodukts verursacht worden ist. Ebenfalls einbezogen wird der sog. Quasihersteller, der sich durch Anbringung seines Firmennamens oder seiner Marke auf dem Produkt als Hersteller ausgibt, der