Dr. iur. Holger Bremenkamp, Dr. Fernanda Bremenkamp
Rz. 45
Die deliktische Produkthaftung trifft in erster Linie den Warenhersteller. Es können aber auch Ersatzansprüche gegen andere Unternehmer, die an der Produktion oder am Warenabsatz beteiligt sind, eröffnet sein, etwa gegen Vertriebshändler, Importeure oder Zulieferer. Das ist insbesondere dann von erheblichem Interesse, wenn der Hersteller zahlungsunfähig ist oder realistischer Weise nicht belangt werden kann. Die deliktische Haftung des Zulieferers bzw. von am Warenabsatz Beteiligten kommt jedoch nur in Betracht, wenn diese eigene Verkehrssicherungspflichten verletzt haben. Welche Gefahrenabwendungspflichten bestehen, ist nach der Funktion der Beteiligten zu beurteilen.
Rz. 46
Wird das Endprodukt aus zugelieferten Teilen zusammengesetzt, tritt eine aufgabenbezogene Haftungsverteilung ein: Der Zulieferer haftet bei Fehlerhaftigkeit der von ihm produzierten Zulieferteile, der Endhersteller (Assembler) bei Montage- und Verarbeitungsfehlern des Endprodukts. Der Zulieferer ist aber grundsätzlich nicht dafür verantwortlich, dass sein Produkt angesichts des für das Endprodukt vorgesehenen Gebrauchs ohne Risiken verwendet werden kann: Die Auswahl des zugelieferten Produkts fällt vielmehr in den Verantwortungsbereich des Weiterverarbeiters. Anderes gilt, soweit für das Zulieferteil konkrete Qualitätsanforderungen festgelegt wurden oder Qualitätssicherungsvereinbarungen die Pflichtenverteilung zwischen Endhersteller und Zulieferer modifizieren, ferner, wenn für den Zulieferer die Ungeeignetheit seines Produkts für den gefahrlosen Einsatz im Rahmen des ihm bekannten Verwendungszweckes erkennbar ist. Der Zulieferer kann hinweispflichtig sein, wenn er als Auftragsfertiger konkreten Anlass zu der Annahme hat, der Endhersteller habe bei der von ihm vorgegebenen Konstruktion des Zulieferteils mögliche Gefahren nicht ausreichend berücksichtigt, oder wenn die Spezifikation sicherheitsrelevante Unklarheiten enthält. Auch hat der Zulieferer dafür einzustehen, dass sein Produkt bei bestimmungsgemäßem Gebrauch in der Weiterverarbeitung fehlerfrei und ohne Gefährdung des Eigentums Dritter eingesetzt werden kann. Darüber hinaus haftet er für Schäden, die auf einer Verletzung seiner eigenen Instruktions- und Produktbeobachtungspflichten beruhen: So hat der Zulieferer den Endhersteller insbesondere über typische Gefahren und über Leistungsgrenzen des Zulieferteils zu informieren. Im Innenverhältnis zwischen Zulieferer und Assembler haftet der Zulieferer grundsätzlich allein, wenn nicht auch dem Assembler eigene Fehler vorzuwerfen sind. Zugunsten des Zulieferers gelten aber nicht selten vertragliche Risikobegrenzungen, die den wirtschaftlichen Gegebenheiten und insbesondere dem häufig geringen Wert des Zulieferteils im Verhältnis zum Endprodukt Rechnung tragen, etwa in der Automobilindustrie.
Rz. 47
Der Händler hat grundsätzlich nur die an seine Vertriebstätigkeit anknüpfenden Verkehrssicherungspflichten zu erfüllen. Dagegen hat er nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht für Schäden einzustehen, die durch die von ihm vertriebenen Produkte verursacht werden. Eine Pflicht zur Untersuchung des Produkts auf Konstruktionsfehler besteht nicht. Dagegen kann dem Vertriebshändler ausnahmsweise eine Kontrolle auf Fabrikationsfehler obliegen, wenn dazu aus besonderen Gründen Anlass besteht, etwa weil bereits Schadensfälle bei der Produktverwendung bekannt geworden sind; ansonsten kommt allenfalls eine Pflicht zur Sichtkontrolle in Betracht. Auch darf der Händler bestimmte Produkte nicht an solche Erwerber abgeben, bei denen von vornherein eine typische und erhebliche Gefahrenlage zu erkennen ist, etwa an Kinder. Händlerspezifische Gefahrenabwendungspflichten bestehen vor allem im Instruktions- und Produktbeobachtungsbereich. So soll grundsätzlich jeder Händler verpflichtet sein, dafür zu sorgen, dass der Käufer die richtige Betriebsanleitung und etwa erforderliche Warnhinweise erhält. Soweit der Händler einen Käufer über Eignung bzw. Risiken des Produkts berät, müssen seine Hinweise richtig und vollständig sein; lässt er seine Verwendungsabsicht nicht erkennen, so hat sich der Käufer dagegen selbst zu vergewissern, ob die beabsichtigte Verwendung noch im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs liegt. Werden bisher unbekannte Produktgefahren bekannt, hat der Vertriebshändler wie ein Hersteller für Gefahrenabwendung zu sorgen.
Rz. 48
Versieht der Händler das von ihm vertriebene Produkt mit seinem eigenen Namen oder seiner Handelsmarke (Quasihersteller), so tritt zwar keine haftungsrechtliche Gleichstellung mit dem Warenhersteller ein. Gleichwohl kann sich für den Quasihersteller eine erhöhte Sorgfaltspflicht ergeben: Wer nämlich in besonderer Weise die eigene Identifikation mit dem fremd hergestellten Produkt vermittelt oder den Eindruck erweckt, für Reklamationen und Beschwerden die maßgebliche Anlaufstelle zu sein, dem obl...