Björn Retzlaff, Alexander Madorski
Rz. 64
Die im Gesetz genannten Ansprüche auf Schadloshaltung und Gewährleistung sind eine beispielhafte, keine abschließende Aufzählung. Die Regelung ist entsprechend dem Zweck der Streitverkündung weit auszulegen. Wesentlich ist, dass der Anspruch, um dessen Willen die Streitverkündung erfolgt, und der im Erstprozess streitige Anspruch sich wechselseitig ausschließen. Das Merkmal der Schadloshaltung ist nicht nur dann erfüllt, wenn Rückgriffansprüche drohen, aufgrund derer der Dritte den Schaden ersetzen muss, welcher der Partei daraus erwächst, dass sie den im Prozess befangenen Anspruch erfüllen muss oder dessen Erfüllung nicht durchsetzen kann; es ist vielmehr auch dann gegeben, wenn die beklagte Partei und der Dritte dem Streitverkünder alternativ haften. Bei kumulativer oder subsidiärer Haftung scheidet hingegen die Streitverkündung aus.
(1) Mängelansprüche
Rz. 65
Dies betrifft im Rahmen des Baurechts die Mängelrechte der §§ 633, 634 BGB. Ob das Gewährleistungsrecht im Folgeprozess aktiv als Anspruch oder passiv im Wege der Einrede geltend gemacht werden soll, ist nicht erheblich.
(2) Schadloshaltung – Regress
Rz. 66
Dies betrifft die Ansprüche des Verkünders, die geeignet sind, seinen Prozessverlust wieder auszugleichen. Schadloshaltung meint dabei nicht nur die eigentlichen Schadensersatzansprüche, sondern jegliche Ansprüche, die den Verlust des Streitverkünders ausgleichen können.
(3) Ansprüche bei Alternativverhältnissen
Rz. 67
Dies betrifft Ansprüche des Streitverkünders gegen Dritte, die alternativ statt des im Vorprozess Verklagten als Schuldner der eingeklagten Leistung oder von Schadensersatz in Betracht kommen. Ein Beispiel ist die Streitverkündung des Bauherrn an den Baubetreuer im Prozess gegen den Bauunternehmer wegen behaupteter Baumängel. Die alternativen Ansprüche brauchen weder auf derselben Rechtsgrundlage zu beruhen noch nach Inhalt und Umfang identisch zu sein. Erforderlich ist nur, dass sie im Ergebnis auf dasselbe Ziel gerichtet sind. Von § 72 ZPO nicht erfasst werden die Fälle kumulativer Haftung. In dem Prozess des Bauherrn gegen einen Bauunternehmer wegen eines Mangels kann der Bauherr nicht dem Architekten deshalb den Streit verkünden, weil dieser als Gesamtschuldner wegen eines Fehlers der Bauüberwachung ebenfalls für den Mangel haften müsse. Die vollständige gesamtschuldnerische Haftung ist der typische Fall einer kumulativen Haftung, bei der die Streitverkündung ausscheidet. Allerdings kann der verklagte Bauunternehmer dem Architekten den Streit verkünden. Denn der Ausgleichsanspruch aus § 426 BGB ist im Verhältnis zwischen Unternehmer und Architekt ein auf Schadloshaltung gerichteter Anspruch. Zulässig ist die Streitverkündung des Bauherrn bei möglicher gesamtschuldnerischer Haftung mehrerer jedoch dann, wenn die Haftung eines von mehreren Gesamtschuldnern begrenzt ist, weil dieser dem Berechtigten ein Mitverschulden entgegenhalten kann (Fall der teilweisen Alternativhaftung). Beruht ein Mangel auf einem Fehler des bauausführenden Unternehmers und auf einer fehlerhaften Planung des Architekten, muss sich der Bauherr das Mitverschulden des Architekten im Prozess gegen den Bauunternehmer anrechnen lassen. Der Bauherr kann dem Architekten wegen des Anteils, um den er wegen des Mitverschuldens unterliegt, in dem Prozess gegen den Unternehmer den Streit verkünden.