Björn Retzlaff, Alexander Madorski
aa) Beschwer
Rz. 94
Die Berufung ist zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 EUR übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat, § 511 Abs. 2, Abs. 3 ZPO. Der Umfang der Beschwer ist zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung zu berechnen. Dabei ist auf die Beschwer des Rechtsmittelklägers abzustellen, die – etwa bei Auskunftsklagen – für den Kläger nach der Klageabweisung deutlich höher sein kann als für den Beklagten nach dessen Verurteilung. Es ist zu beachten, dass das Rechtsmittel nur dann zulässig ist, wenn es der Beseitigung einer Beschwer dient.
Rz. 95
Der Kläger, der in der ersten Instanz unterlegen ist, muss, damit seine Berufung zulässig ist, den erstinstanzlichen Streitgegenstand zum Gegenstand des Berufungsverfahrens machen. Ein Rechtsmittel ist unzulässig, wenn es den in der Vorinstanz erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, also – im Falle einer vorinstanzlichen Klageabweisung – deren Richtigkeit gar nicht in Frage stellt, sondern lediglich im Wege der Klageänderung ein neuer bislang nicht geltend gemachter Streitgegenstand zur Entscheidung gestellt wird. Die Erweiterung oder Änderung der Klage kann nicht alleiniges Ziel des Rechtsmittels sein; vielmehr setzt ein derartiges Prozessziel ein zulässiges Rechtsmittel voraus. Stützt der Kläger seine Zahlungsklage in der Berufung auf einen neuen Streitgegenstand, so verfolgt er damit nicht die Beschwer des klageabweisenden Urteils. Im Bauprozess geschieht es nicht selten, dass sich im Verlaufe des Prozesses die Rechtsschutzziele ändern. Statt der zunächst geforderten Abschlagszahlungen wird, weil im Verlaufe des Rechtsstreits die Schlussrechnung erstellt wurde, der Schlussrechnungsbetrag verlangt, statt eines Kostenvorschusses macht der Bauherr, der während des Prozesses Mängelbeseitigungsarbeiten hat durchführen lassen, Kostenerstattung geltend. Für die Zulässigkeit der Berufung, mit der nur noch der neue Antrag weiterverfolgt werden soll, ist es von entscheidender Bedeutung, ob in derartigen Fällen eine Klageumstellung i.S.d. § 264 ZPO vorliegt, auf die allein die Berufung nicht gestützt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass die Berufung zulässig ist, wenn der Kläger wegen später eingetretener Veränderung einen anderen Gegenstand oder das Interesse fordert, § 264 Nr. 3 ZPO.
Rz. 96
In all diesen Fällen muss der Berufungsführer unbedingt darauf achten, dass neues Vorbringen, das das geänderte Rechtsschutzziel begründen soll, gem. § 531 Abs. 2 ZPO möglicherweise nicht mehr zugelassen wird. Es bedarf daher der eingehenden Überprüfung des erstinstanzlichen Sachvortrages.
bb) Berufungsbegründungsfrist
Rz. 97
Die Frist zur Begründung der Berufung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des Urteils. Ein Berichtigungsbeschluss hat auf den Lauf der Fristen keinen Einfluss. In Bausachen ist es wegen der Komplexität des Sachverhalts und der einzuholenden Informationen häufig schwierig, die Frist einzuhalten. Nicht selten bedarf es der Einholung eines Privatgutachtens, um die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zu klären. Der Berufungsführer muss aber beachten, dass die Fristverlängerung gem. § 520 ZPO an strenge Voraussetzungen geknüpft ist. Eine erstmalige Verlängerung der Begründungsfrist ist ohne Einwilligung des Gegners um bis zu einem Monat möglich, wenn nach der freien Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger besondere Gründe darlegt. Allerdings besteht das Risiko, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines Ermessens eine beantragte Verlängerung der Begründungsfrist versagt. Konnte der Berufungsführer auf die Gewährung der Fristverlängerung vertrauen, kann er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Dies wird aber nur dann Erfolg haben, wenn er die Fristverlängerung mit großer Wahrscheinlichkeit erwarten durfte. Das ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist der Fall, sofern dieser auf erhebliche Gründe i.S.d. § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO gestützt wurde. Zu den erheblichen Gründen im Sinne dieser Vorschrift zählen etwa die Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten, dessen urlaubsbedingte Abwesenheit, Erkrankung, ausstehende Rücksprache mit dem Mandanten bzw. Informationsbeschaffung. Eine Partei kann auf eine Fristverlängerung auch dann vertrauen, wenn diese unter Hinweis auf das erteilte Einverständnis des Gegners erstmalig beantragt wird, ohne dass erhebliche Gründe i.S.d. § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO dargetan sind. Über die erstmalige Verlängerung um einen Monat hinaus darf die Begründungsfrist nur mit Einwilligung des...