Björn Retzlaff, Alexander Madorski
I. Einleitung
Rz. 42
Die Beteiligung Dritter an einem Rechtsstreit ist in Bauprozessen weit häufiger als in sonstigen Rechtsstreiten. Das Baurecht ist geprägt von der arbeitsteiligen Vorgehensweise bei der Durchführung des Bauvorhabens. Der Architekt und die Fachplaner stellen Berechnungen und Ausführungspläne zur Verfügung, die von den Unternehmern zu beachten sind. Die einzelnen Unternehmer sind an dem Gesamterfolg des Bauwerks nur mit ihren jeweiligen Leistungsteilen beteiligt. Dabei bauen ihre Leistungen auf denen der Vorunternehmer auf, während sie zugleich selbst Vorunternehmer für Folgegewerke sind. Ihre Bauausführung wird von dem Architekten im Rahmen der Objektüberwachung begleitet. Liegt ein Bauwerksmangel vor, ist es für den Bauherrn mitunter schwierig zu erkennen, wer die Ursache hierfür gesetzt hat und welcher Handwerker und/oder Planer verantwortlich ist. Der Bauherr läuft Gefahr, einen Unternehmer zu verklagen, von dem sich im Laufe des Rechtsstreits herausstellt, dass er nicht oder nur anteilig für den Mangel haftet. Zugleich besteht die Möglichkeit, dass die Geltendmachung des Anspruchs gegen den alternativ haftenden Unternehmer in einem Folgeprozess ebenfalls erfolglos bleibt, weil das Gericht des zweiten Prozesses grundsätzlich an die Ergebnisse des Vorprozesses nicht gebunden sein wird. Der verklagte Unternehmer wird, weil er die Haupt- oder Mitverantwortung bei einem anderen Baubeteiligten sieht, ein Interesse daran haben, dass die Feststellungen in dem gegen ihn gerichteten Prozess einem etwaigen Regressanspruch zugrunde gelegt werden. Daneben kommt eine Streitverkündung durch einen Bauunternehmer auch dann in Betracht, wenn er mit dem Bauherrn einerseits und dem Nachunternehmer andererseits um die Nachtragsvergütung ein und derselben Leistung streitet, die an den Nachunternehmer weitergegeben wurde An der gerichtlichen Auseinandersetzung nicht beteiligte Unternehmer können ein Interesse daran haben, von sich aus auf die laufende Auseinandersetzung mit eigenen Anträgen, insbesondere zu Beweisfragen, Einfluss zu nehmen, um die aus ihrer Sicht entscheidenden Haftungsfragen zu klären. Die Möglichkeit, Dritte an dem Rechtsstreit zu beteiligen, ist für Bauherren und Bauunternehmer daher von nicht zu unterschätzender praktischer Relevanz. Auf diesem Wege können widersprüchliche Prozessergebnisse verhindert und die Zahl der Rechtsstreitigkeiten reduziert werden. Zudem kann die Beteiligung des Dritten die Aufklärung des Sachverhalts wesentlich fördern. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Beteiligung eines Dritten an dem Rechtsstreit. Entweder der Dritte wird selbst aktiv und tritt einem Prozess auf Seiten des Bauherrn oder des Unternehmers als Nebenintervenient bei (§§ 66 ff. ZPO) oder eine der Prozessparteien verkündet dem Dritten den Streit (§§ 72 ff. ZPO), woraufhin der Dritte dem Rechtsstreit beitreten kann.
Daneben kommt die Erhebung einer Widerklage gegen einen Dritten in Betracht, der hierdurch allerdings zur Partei des Rechtsstreits wird (und damit z.B. seine Stellung als Zeuge verliert – sog. Drittwiderklage). Die Drittwiderklage gegen einen Nachunternehmer oder einen neben dem Widerkläger als Gesamtschuldner haftenden Baubeteiligten ist aber in aller Regel unzulässig.
II. Rechtliche Grundlagen und Wirkungen der Streitverkündung
Rz. 43
Die rechtlichen Grundlagen der Streitverkündung finden sich in §§ 72–74 ZPO, die wiederum auf die Regelungen zur Nebenintervention verweisen. Der Zweck der Streitverkündung besteht neben der erhofften Hilfe für die Prozessführung hauptsächlich darin, die Interventionswirkung des § 68 ZPO herbeizuführen und die Verjährung des (möglichen) Regressanspruchs gegen den Streitverkündeten zu hemmen (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB). Interventionswirkung bedeutet, dass sich die tragenden tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Beurteilungen des Urteils im laufenden Prozess auf den Folgeprozess (Streitverkünder gegen Streitverkündungsempfänger) erstrecken. Der Bundesgerichtshof hat dies wie folgt zusammengefasst:
Zitat
"Die Streitverkündung ist ein in erster Linie den Interessen des Streitverkünders dienender prozessualer Behelf, der dazu bestimmt ist, verschiedene Beurteilungen desselben Tatbestandes zu vermeiden, d.h. den Streitverkünder durch die Bindungswirkung gemäß §§ 74, 68 ZPO vor dem Risiko zu bewahren, dass er wegen der materiell-rechtlichen Verknüpfung der im Vor- und Folgeprozess geltend gemachten bzw. geltend zu machenden Ansprüche mehrere Prozesse führen muss, dabei aber Gefahr läuft, alle zu verlieren, obwohl er zumindest einen gewinnen müsste; außerdem soll sie dem Streitverkündungsgegner Gelegenheit zur Unterstützung des Verkünders im Prozess geben und den Verkünder gegen den Einwand schützen, er habe den Prozess schlecht geführt oder eine unrichtige Entscheidung herbeigeführt."