Dr. Peter Stelmaszczyk, Stefan Wegerhoff
(1) Zwangsweise Auflösung durch gerichtliche Entscheidung
Rz. 1510
Wenn ein zwingender Auflösungsgrund vorliegt, nach dem die Vereinigung durch Beschluss ihrer Mitglieder aufgelöst werden muss, die Mitglieder den Auflösungsbeschluss jedoch nicht fassen, muss das Gericht auf Antrag eines Mitgliedes die Auflösung der Vereinigung aussprechen (Art. 31 Abs. 2 EWIV-VO).
Rz. 1511
Auf Antrag jedes Beteiligten oder einer zuständigen Behörde muss das Gericht ferner im Fall der Verletzung der Bestimmungen der Verordnung über Tätigkeit und Zweck der Vereinigung, über den Sitz der Vereinigung oder über die Zusammensetzung der Mitglieder der Vereinigung sowie die obligatorische Mehrstaatlichkeit die Auflösung der Vereinigung aussprechen, es sei denn, dass die Mängel der Vereinigung behoben werden können und vor der Entscheidung in der Sache behoben werden (Art. 32 Abs. 1 EWIV-VO).
Als antragsberechtigte Beteiligte dürften angesichts der zur Auflösbarkeit der EWIV führenden Verstöße die folgenden Personen gelten:
▪ |
Mitglieder und Geschäftsführer der EWIV, |
▪ |
Arbeitnehmer und ggf. Arbeitnehmervertreter der EWIV, |
▪ |
von der EWIV beherrschte Unternehmen, |
▪ |
Darlehensgeber der EWIV und |
▪ |
Mitglieder einer anderen EWIV. |
Antragsberechtigte Behörden sind bspw.
▪ |
das Justizministerium in den Niederlanden und |
▪ |
die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in der Bundesrepublik Deutschland. |
Hinweis
Die nach Art. 32 Abs. 1 EWIV-VO auflösbare EWIV muss ihren Sitz nicht im Staat der antragsberechtigten Behörde haben. Die EWIV-VO regelt nicht die Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung über die Auflösung der EWIV, sodass das zuständige Gericht anhand nationaler Rechtsvorschriften ermittelt werden muss. Nach den allgemeinen Grundsätzen des deutschen Zivilprozessrechts wäre das Gericht am Sitz der EWIV zuständig.
(2) Freiwillige Auflösung durch gerichtliche Entscheidung
Rz. 1512
Auf Antrag eines Mitgliedes kann das Gericht die Auflösung der Vereinigung aus wichtigem Grund aussprechen (Art. 32 Abs. 2 EWIV-VO). Auch nach deutschem Recht können nur die Gesellschafter die Auflösungsklage erheben (§ 139 Abs. 1 HGB). Nach deutschem Recht läge ein solcher wichtiger Grund insb. dann vor, wenn ein anderer Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzen oder wenn die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich würde (§ 139 Abs. 2 HGB). Die Auflösung der EWIV liegt letztlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. In diesem Zusammenhang ist wie immer zu beachten, dass der Bestand von einmal existierenden EWIV möglichst geschützt werden soll (Bestandsschutz). Die letzte Instanz für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "wichtigen Grundes" ist der EuGH.
Rz. 1513
Ein Mitgliedstaat kann vorsehen, dass das Gericht auf Antrag einer zuständigen Behörde die Auflösung einer Vereinigung, die ihren Sitz in dem Staat dieser Behörde hat, in den Fällen aussprechen kann, in denen die Vereinigung durch ihre Tätigkeit gegen das öffentliche Interesse dieses Staates verstößt, sofern diese Möglichkeit in den Rechtsvorschriften dieses Staates für eingetragene Gesellschaften oder andere juristische Einheiten, die diesen Rechtsvorschriften unterliegen, vorgesehen ist (Art. 32 Abs. 3 EWIV-VO).
Der nationale Gesetzgeber darf von dieser Regelungsermächtigung der EWIV-VO also nur insoweit Gebrauch machen, als die entsprechenden Vorschriften auch für seine eigenen nationalen Gesellschaftsformen gelten, also nicht diskriminierend wirken. Die entsprechende Regelung etwa für deutsche GmbH könnte sich in § 62 GmbHG finden. Danach kann die GmbH ohne Anspruch auf Entschädigung aufgelöst werden, wenn sie das Gemeinwohl dadurch gefährdet, dass die Gesellschafter gesetzwidrige Beschlüsse fassen oder gesetzwidrige Handlungen der Geschäftsführer wissentlich geschehen lassen. Das Verfahren und die Zuständigkeit der Behörden richten sich nach den für streitige Verwaltungssachen landesgesetzlich geltenden Vorschriften. Der deutsche Gesetzgeber hat von der Regelungsbefugnis des Art. 32 Abs. 3 EWIV-VO jedoch keinen Gebrauch gemacht.