Dr. Peter Stelmaszczyk, Stefan Wegerhoff
Rz. 522
Gem. § 116 Abs. 5 HGB erfolgt die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis wegen eines wichtigen Grundes durch gerichtlichen Beschluss. Zweck dieser Abweichung vom Recht der GbR, bei der zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis ein Beschluss der übrigen Gesellschafter ausreicht, ist die Rücksichtnahme auf den geschäftsführenden Gesellschafter der OHG, für den häufig die Geschäftsführertätigkeit seinen einzigen Beruf darstellt.
Der Gesellschaftsvertrag kann die Entziehung allerdings abweichend von § 117 HGB erschweren oder erleichtern.
Rz. 523
Als erschwerende Regelungen kommen bspw. in Betracht:
▪ |
einengende Umschreibung der Entziehungsgründe, |
▪ |
zusätzliches Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses, |
▪ |
Vorprüfung durch Schiedsgutachter oder Beirat. |
Rz. 524
Ob eine Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis aus wichtigem Grund vollständig ausgeschlossen werden kann, ist umstritten. Auch wenn sie ausgeschlossen ist, verbleiben die Möglichkeiten, den Gesellschafter gem. § 134 HGB auszuschließen oder die OHG nach § 138 HGB aufzulösen. Das stellt jedoch eine unzumutbare Einschränkung der übrigen Gesellschafter dar, die mit diesen Maßnahmen gleichzeitig auch ihre eigene Gesellschafterstellung antasten müssten. Letztlich verbleibt allerdings eine Korrektur der unzumutbaren Erschwerungen oder des Ausschlusses im Einzelfall über § 242 BGB.
Rz. 525
Erleichternde Regelungen könnten etwa die folgenden sein:
▪ |
Aufstellung absoluter Entziehungsgründe, |
▪ |
Klage bereits bei Mehrheitsbeschluss, |
▪ |
Entziehung durch Gesellschafterbeschluss statt durch Klage. |
Rz. 526
Erfolgt die Entziehung nicht durch einen Gerichtsbeschluss, ist immer zu beachten, dass die Möglichkeit der gerichtlichen Nachprüfung nicht wirksam ausgeschlossen werden kann. Im Streitfall würde das Gericht dann nur die Wirksamkeit der Entziehung durch Beschluss feststellen. Dagegen könnte der betroffene Gesellschafter Feststellungsklage erheben.
Rz. 527
Zur Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis muss ein wichtiger Grund vorliegen. Ein solcher ist gegeben, wenn den übrigen Gesellschaftern unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die fortgesetzte Wahrnehmung der Geschäftsführung durch den infrage stehenden Gesellschafter nicht zugemutet werden kann (vgl. § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB). § 116 Abs. 5 Satz 2 HGB nennt dafür zwei typische (nicht abschließende) Merkmale:
▪ |
eine grobe Pflichtverletzung des Gesellschafters und |
▪ |
die Unfähigkeit des Gesellschafters zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung (z.B. bei einer dauerhaften Erkrankung). |
Dabei ist immer die Verhältnismäßigkeit zu beachten. Ein wichtiger Grund, der zur Entziehung der Geschäftsführung berechtigt, liegt nur vor, wenn die Probleme nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden können und die Entziehung dem Betroffenen zumutbar ist.
Bzgl. der Klage der übrigen Gesellschafter gilt es, die folgenden Punkte zu beachten.
▪ |
Es ist ein Antrag aller (auch nicht geschäftsführenden) Gesellschafter erforderlich. Verweigert ein Gesellschafter unter Verstoß gegen seine Treuepflicht die Mitwirkung, so kann seine Pflicht klageweise durchgesetzt werden. Diese sollte mit der Entziehungsklage verbunden werden. Eine Mitwirkungspflicht ist aber nicht schon bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gegeben. Vielmehr muss ein besonders dringendes Gesellschaftsinteresse für die Maßnahme bestehen, dass auch die persönlichen Interessen des unwilligen Gesellschafters überwiegt, da die Maßnahme die Gesellschafter in ihrem Grundverhältnis berührt. |
▪ |
Mehrere Kläger sind notwendige Streitgenossen (§ 62 ZPO). |
▪ |
Oft wird eine Anspruchshäufung gem. § 260 ZPO vorliegen, bspw. bei der Verbindung einer Klage auf Entziehung und einer auf Zustimmung zur Entziehung. |
▪ |
Eine Widerklage des betroffenen Gesellschafters auf Auflösung der Gesellschaft ist zulässig. |
▪ |
Liegt ein Missbrauch der Geschäftsführungsbefugnis vor, ist eine Einstweilige Verfügung gem. §§ 935, 940 ZPO auf Antrag aller übrigen Gesellschafter im Prozess möglich. |
▪ |
Das Gericht entscheidet durch Gestaltungsurteil. § 116 Abs. 5 HGB ("kann") weist ihm jedoch kein Ermessen bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zu. Bestehen Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Entziehung, ist es angeraten, einen Hilfsantrag auf Anordnung, bspw. der Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis, zu stellen, da das Gericht sonst mangels Klageantrags keine weniger einschneidende Maßnahme aussprechen könnte. |
▪ |
Nach Erlass des Urteils sollte darüber nachgedacht werden, ob durch die eingetretene neue Situation eine Abänderung des Gesellschaftsvertrages mit einer Neuordnung der Geschäftsführung angeraten oder sogar unerlässlich ist. |