Rz. 98
Bekanntlich stehen dem Vorerben die Nutzungen des Nachlasses nach § 2111 Abs. 1 S. 1 BGB zu. Die Substanz der Vorerbschaft, also das Unternehmen als solches, gebührt indes dem Nacherben.
Bei einem Unternehmen bzw. einer Gesellschaftsbeteiligung hat der Vorerbe demzufolge Anspruch auf diejenigen Gewinne, bei denen es sich um Nutzungen im Sinne von §§ 2111 Abs. 1, 99, 100 BGB handelt. Erstes Abgrenzungsmerkmal in diesem Zusammenhang ist die Entnahmefähigkeit der jeweiligen Gewinne entsprechend den Regelungen des Gesellschaftsvertrages. Solche Gewinne, die – laut Gesellschaftsvertrag – thesauriert werden müssen (etwa um vorangegangene Verluste auszugleichen), sind nicht entnahmefähig und gebühren daher auch nicht dem Vorerben. Darüber hinaus sind jedoch noch weitere Gesichtspunkte zu beachten:
Rz. 99
Etwaige gesellschaftsvertraglich vorgesehene Gewinnentnahmebeschränkungen bzw. Thesaurierungsregelungen binden den Vorerben lediglich als Gesellschafter, also im Verhältnis zur Gesellschaft. Im Verhältnis zum Nacherben ist dies jedoch nicht automatisch auch der Fall. Vor diesem Hintergrund kann dem Vorerben hier ein Ausgleichsanspruch gegenüber dem Nacherben zustehen. Es empfiehlt sich daher, dass der Erblasser testamentarisch entsprechende Anordnungen trifft, die derartige Ausgleichsansprüche ausschließen und den Vorerben im Verhältnis zum Nacherben entsprechend den gesellschaftsvertraglichen Regelungen beschränken. Eine ähnliche Regelung könnte auch erwogen werden soweit Gewinne nicht aufgrund gesellschaftsvertraglicher Regelungen, sondern aufgrund eines individuellen Gesellschafterbeschlusses thesauriert werden. Allerdings sollte hierbei mitberücksichtigt werden, ob und inwieweit der Vorerbe derartige Gesellschafterbeschlüsse verhindern kann oder sich hier grundsätzlich den Entscheidungen der übrigen Gesellschafter beugen muss.
Rz. 100
Im Übrigen stellt sich hier die Frage, inwieweit die Bildung von Rücklagen kaufmännisch geboten sein kann und es sich dann hierbei um eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung handelt mit der Folge, dass die entsprechenden Belastungen gem. § 2124 Abs. 1 BGB ohnehin den Vorerben treffen.
Rz. 101
Abgesehen von der Frage der handels- bzw. gesellschaftsrechtlichen Entnahmefähigkeit erwirtschafteter und in Bilanzen ausgewiesener Gewinne stellt sich auch die Frage der Herkunft derselben. Stammen sie aus der laufenden Geschäftstätigkeit, stehen sie zweifellos dem Vorerben zu. Anders kann sich die Lage aber darstellen, wenn die Gewinne aus der Hebung stiller Reserven resultieren, beispielsweise aus der Veräußerung von Anlagevermögen und/oder aus Versicherungsentschädigungen für untergegangene Anlagegüter. Denn hier kann der Vorerbe im Rahmen seiner Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung gehalten sein, die angefallenen Gewinne zu reinvestieren, um das veräußerte bzw. auf andere Weise weggefallene Anlagevermögen durch entsprechende Ersatzwirtschaftsgüter zu ersetzen.
Rz. 102
Dieselben Grundsätze gelten auch bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen. Auch wenn grundsätzlich die ausschüttbaren Gewinnanteile bzw. Dividenden dem Vorerben zustehen, ist hier ebenfalls nach der Herkunft der ausgeschütteten Gewinne zu fragen (vgl. oben Rdn 98).
Rz. 103
Wird bei der Kapitalgesellschaft eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln durchgeführt, handelt es sich bei den Bezugsrechten auf auszugebende Anteile nicht um einen Ertrag der Kapitalgesellschaft. Vielmehr fallen diese in die Vorerbschaft. Selbst wenn der Vorerbe für den Erwerb neu ausgegebener Anteile eigene Mittel aufwendet, stellen sich die neuen Anteile als Surrogate der Bezugsrechte dar mit der Folge, dass sie zur Vorerbschaft gehören. Dem Vorerben steht in dieser Situation aber gegen den Nacherben ein Ausgleichsanspruch nach § 2124 Abs. 2 BGB bzw. nach § 2125 Abs. 1 BGB zu. Gleiches gilt für den Fall, dass die zur Kapitalerhöhung verwendeten Rücklagen etc. aus während der Dauer der Vorerbschaft erwirtschafteten Gewinnen, die eigentlich dem Vorerben zustehen, stammen.