Rz. 16
Der Erblasser kann mittels einer Vor- und Nacherbeneinsetzung verfügen, dass nach seinem Tod das Vermögen zunächst auf einen (Vor-)Erben als den zuerst Bedachten übergeht und erst aufgrund einer aufschiebenden Bedingung oder Befristung (i.d.R. der Tod des Vorerben) ein anderer, nämlich der Nacherbe Erbe wird (§ 2100 BGB). Ein mindestens zweimaliger Anfall der Erbschaft muss gewollt sein. Die Vor- und Nacherbeneinsetzung wird durch letztwillige Verfügung, also einer Erbeinsetzung gem. §§ 1937, 1941 Abs. 1 BGB aufgrund Testaments oder Erbvertrags durch den Erblasser angeordnet. Eine Vor- und Nacherbschaft kraft Gesetzes gibt es nicht.
Rz. 17
Der Wille, eine Vor- und Nacherbschaft anzuordnen, muss in der letztwilligen Verfügung sowohl durch Benennung der zum Vor- bzw. Nacherben berufenen Personen als auch des Zeitpunkts, zu dem der Nacherbfall (§§ 2106, 2139 BGB) eintreten soll, zum Ausdruck kommen. Im Zweifel ist der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Erblassers mittels Auslegung unter Heranziehung der allgemeinen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 2084 BGB) zu ermitteln. Auslegungs- und Ergänzungsregeln finden sich auch in den §§ 2101–2107 BGB. Ausreichend ist, wenn sich feststellen lässt, dass die Verfügung darauf abzielt, dass die Erbschaft zunächst dem Erst- und danach einem Zweitberufenen zukommen soll. Die Erbschaft muss zeitlich folgend auf mindestens zwei Erben verteilt sein.
Rz. 18
Nicht erforderlich ist, dass die Begriffe Vor- und Nacherbschaft explizit verwendet werden. Auch in dem Gebrauch objektiv falscher Bezeichnungen, wie beispielsweise "Ersatzerbe", "Alleinerbe", "Nießbrauch", kann die Anordnung einer Vor- und Nacherbeinsetzung liegen, sofern ein dahingehender Wille des Erblassers ermittelt werden kann.
Rz. 19
Wegen des Grundsatzes der Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB) kann der Erblasser eine Nacherbfolge nur in einzelne Gegenstände, wie seinen Grundbesitz oder sein Unternehmen, nicht anordnen, aber auf Bruchteile des Nachlasses beschränken (§ 2088 BGB). Wird die Nacherbfolge auf Bruchteile des Nachlasses beschränkt, liegt hinsichtlich des übrigen Nachlasses Vollerbschaft vor. Einzelne Nachlassgegenstände können mittels der Anordnung eines (Vor- und Nach-)Vermächtnisses (§ 2191 BGB) verschiedenen Personen nacheinander übertragen werden, was bei der Auslegung (§ 2084 BGB) oder der Umdeutung (§ 140 BGB) der Verfügung einer auf einzelne Nachlassgegenstände bezogenen Nacherbeinsetzung zu berücksichtigen ist.
Praxishinweis
Haben Ehegatten in einer letztwilligen Verfügung ihr Vermögen zunächst dem Überlebenden und auf den Tod des Zweitsterbenden einem Dritten – in der Regel den gemeinsamen Kindern – vermacht, so ist im Zweifel entsprechend der Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB (Berliner Testament) keine Vor- und Nacherbschaft angeordnet.