Rz. 9
Mit der Anordnung der Vor- und Nacherbfolge werden in der Praxis als typische Gestaltungsmöglichkeiten folgende Zwecke verfolgt:
1. Noch nicht gezeugte Person
Rz. 10
Soll nach dem Willen des Erblassers eine noch nicht gezeugte Person zum Erben bestimmt werden, so kommt nur die Einsetzung als Nacherbe in Betracht (§§ 1923 Abs. 2, 2101 Abs. 1 BGB).
2. Nachlasssicherung über zwei Generationen
Rz. 11
Unter Versorgungsgesichtspunkten sollen dem Vorerben nur die Nutzungen verbleiben, während dem Nacherben die eigentliche Nachlasssubstanz zukommen soll, vgl. § 2111 Abs. 1 S. 1 BGB.
3. Behindertentestament
Rz. 12
Die testamentarische Anordnung einer nicht befreiten Vorerbschaft des behinderten Kindes unter gleichzeitiger Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung gibt dem Erblasser in rechtlich zulässiger Weise die Möglichkeit, dem behinderten Kind zusätzlich zu den Leistungen des Sozialhilfeträgers regelmäßige Einnahmen zu verschaffen, ohne dass der Träger der Sozialhilfe auf die Nachlasssubstanz zugreifen kann, so dass das Vermögen der Familie erhalten bleibt.
4. Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten
Rz. 13
Für den Fall der Wiederverheiratung des Überlebenden wird mitunter vorgeschlagen, mittels der Anordnung der Vor- und Nacherbschaft anzuordnen, dass bei Wiederverheiratung der Nacherbfall vorzeitig eintritt, um Vermögensverschiebungen während der zweiten Ehe zu Lasten der Kinder zu verhindern. Eine solche Regelung könnte vor dem Hintergrund der BVerfG-Rechtsprechung wegen unzulässiger Einwirkung auf die Eheschließungsfreiheit des überlebenden Ehegatten jedoch unwirksam sein. Gestaltet man die Wiederverheiratungsklausel lediglich dahingehend, dass "im Falle der Wiederverheiratung der Nachlass des Erstversterbenden an die Schlusserben herauszugeben ist", wird dies regelmäßig so ausgelegt, dass der überlebende Ehegatte ab dem Tod des Erstversterbenden durch die Wiederheirat sowohl auflösend bedingter Vollerbe als auch aufschiebend bedingter Vorerbe ist.
5. Pflichtteilsreduzierung
Rz. 14
Das der Nacherbschaft unterliegende Vermögen zählt bei Tod des Vorerben nicht zu dessen Nachlass, sondern fällt direkt dem Nacherben zu. Durch die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft lässt sich daher eine ansonsten eintretende Erhöhung der Bemessungsgrundlage für spätere Pflichtteilsansprüche vermeiden.
6. Unternehmensnachfolge
Rz. 15
Die Beteiligung an einer zur Erbschaft gehörenden Personengesellschaft (GbR, OHG, KG oder PartG) ist – soweit die Beteiligung vererblich gestellt ist – Nachlassgegenstand, so dass der Vorerbe unmittelbar anstelle des Erblassers Gesellschafter wird, wenn er nicht durch Gesellschaftsvertrag von der Nachfolge ausgeschlossen ist. Beispielsweise kann das Regelungsmodell der Vor- und Nacherbeneinsetzung zum Tragen kommen, wenn ein Nachfolger die Stellung eines Unternehmensgesellschafters noch nicht ausfüllen kann ("Platzhalter") oder wenn ein Gesellschafter die spätere Versorgung eines Familienangehörigen gewährleisten will.
Die Nacherbeneinsetzung kann erbvertraglich mit einem Pflichtteilsverzicht verbunden werden, um einer dem Willen des Erblassers zuwiderlaufenden nachträglichen Ausschlagung (§ 2306 Abs. 1, 2 BGB) zu begegnen.
Praxishinweis
Ein Gesellschaftsanteil unterliegt auch dann als Surrogat (§ 2111 BGB) der Vorerbschaft, wenn er vom Vorerben mit Mitteln der Erbschaft erworben wurde. Gesellschafter kann der Nacherbe dann ebenfalls nur werden, wenn der Gesellschaftsvertrag dies zulässt.