1. Befreiung nach § 2136 BGB
Rz. 106
Vor dem Hintergrund der vorstehend geschilderten Schwierigkeit ist dringend zu empfehlen, den Vorerben in weitest möglichem Umfang von etwa bestehenden Beschränkungen zu befreien und eine befreite Vorerbschaft i.S.v. § 2136 BGB anzuordnen, sodass sich im Ergebnis die Herausgabepflicht des Vorerben nur noch auf das im Zeitpunkt des Eintritts des Nacherbfalls tatsächlich vorhandene Vermögen erstreckt. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass der Erblasser dem Vorerben weitestgehend vertraut und sich darauf verlassen kann, dass der Vorerbe nicht zum Nachteil des Nacherben wirtschaften wird. Fehlt dieses Vertrauen, scheint das Gestaltungsinstrument der "Vor- und Nacherbschaft" von vornherein für die Unternehmensnachfolge ungeeignet.
Rz. 107
Durch die Befreiung des Vorerben nicht zu lösen sind allerdings die aus dem Schenkungsverbot gem. § 2113 Abs. 2 BGB resultierenden Probleme.
2. Schenkungsverbot
Rz. 108
Gem. § 2113 Abs. 2 BGB sind unentgeltliche Verfügungen des Vorerben über der Vor- und Nacherbschaft unterliegende Nachlassgegenstände dem Nacherben gegenüber mit Eintritt des Nacherbfalls grundsätzlich unwirksam. Diese Regelung geht – gerade in Bezug auf Unternehmen – weit über ein bloßes Schenkungsverbot hinaus. Es kann auch Auswirkungen auf die Art und Weise, in der der Vorerbe die ihm zustehenden Gesellschaftsrechte bei einer zum Nachlass gehörenden Personen- oder Kapitalgesellschaft ausübt, entfalten. Ungeachtet des Umstands, dass es sich bei Gesellschafterbeschlüssen grundsätzlich nicht um Austauschverträge handelt, wendet die Rechtsprechung § 2113 Abs. 2 BGB auch in diesem Bereich an und grenzt das Kriterium der Unentgeltlichkeit dabei negativ ab: Demzufolge soll es sich bei der Zustimmung des Vorerben zu einer Änderung des Gesellschaftsvertrages, die zwar in seine Mitgliedschaft eingreift, gleichzeitig aber für die übrigen Gesellschafter dieselben Konsequenzen mit sich bringt, nicht um eine unentgeltliche Verfügung handeln, sodass die Beschlussfassung auch dem Nacherben gegenüber wirksam ist. Gleiches soll gelten, wenn sich die Beschlussfassung zwar einseitig zu Lasten des Vorerben bzw. des von ihm gehaltenen Gesellschaftsanteils auswirkt, sich dies aber als eine Art "Gegenleistung" dafür darstellt, dass die Mitgesellschafter zusätzliche Leistungen für die Erhaltung oder Stärkung des Unternehmens erbringen.
Eine unentgeltliche – und damit dem Nacherben gegenüber unwirksame – Verfügung soll aber dann vorliegen, wenn die Zustimmung des Vorerben die nachteilige Änderung des Gewinnverteilungsschlüssels betrifft oder im Falle der Auflösung der Gesellschaft seine Beteiligung an den stillen Reserven eingeschränkt wird.
Rz. 109
Demnach ist mangels erkennbarer Gegenleistung die Kündigung der Mitgliedschaft oder die Zustimmung zur Einziehung eines Gesellschafteranteils ohne adäquate, dem tatsächlichen Verkehrswert entsprechende Abfindung unwirksam (§ 738 Abs. 1 S. 2 BGB). Auch darf der Vorerbe nicht freiwillig gegen ein objektiv nicht vollwertiges Entgelt ohne Weiteres aus der Gesellschaft ausscheiden.
Rz. 110
Problematisch kann es sich darstellen, wenn beispielsweise der Vorerbe der Aufnahme eines neuen Gesellschafters in dem Bewusstsein, dass sich hierdurch sein Anteil mindert, oder Änderungen des Gesellschaftsvertrages, die sich für den Nacherben nachteilig auswirken, zustimmt. Die Zustimmung des Vorerben zu einer Änderung der Nachfolgeklausel mit der Folge, dass sich der Kreis der nachfolgeberechtigten Personen ändert und hierdurch der Nacherbe nicht mehr eintrittsberechtigt ist, oder zu einer Kapitalerhöhung, kann bei fehlendem sachlich rechtfertigenden Grund unzulässig sein. Es wird bei der Beurteilung maßgeblich darauf ankommen, ob der Vorerbe im Einzelfall unter Berücksichtigung seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung von der Notwendigkeit seines Tuns ausgehen durfte. Soweit bei Auflösung der Gesellschaft die Verteilung der stillen Reserven berührt wird, kann auch die Zustimmung zur Änderung des Gewinnverteilungsschlüssels eine unzulässige unentgeltliche Verfügung darstellen.
Rz. 111
Im Einzelfall kann sich die Abgrenzung äußerst schwierig darstellen. Die Problematik wird überdies dadurch verschärft, dass eine Befreiung vom Schenkungsverbot nicht möglich ist, vgl. § 2136 BGB. Abhilfe kann aber durch die Anordnung eines Vermächtnisses zugunsten des Vorerben erreicht werden, durch das ihm gegenüber dem Nacherben ein Anspruch auf Zustimmung zu den in Rede stehenden Maßnahmen eingeräumt wird.
Formulierungsbeispiel
Der Nacherbe wird zugunsten des Vorerben mit einem Vermächtnis beschwert, dass er hinsichtlich der Gesellschaftsbeteiligung an der (…) GmbH & Co. KG, die auf den Vorerben durch den Erbfall übergegangen ist, für alle vom Vorerben vorgenommenen Handlungen und Rechtsgeschäfte, insbesondere auch für Gesellschafterbeschlüsse, sowie im Falle der Änderung des Gesellschaftsvertrages, seine Zustimmung zu erteilen hat und die vom Vorerben vorgenommenen Maßnahmen (einschließlic...