Rz. 65
Durch die in §§ 2113 ff. BGB genannten Beschränkungen und Verpflichtungen wird der Zweck verfolgt, den Nachlass bis zum Eintritt des Nacherbfalls zu erhalten. Da hierdurch der Vorerbe jedoch in seiner Verfügungsmacht sehr stark eingeschränkt wird, kann der Erblasser den Vorerben in einer letztwilligen Verfügung von den meisten Beschränkungen und Verpflichtungen befreien (§§ 2136, 2137 BGB, befreiter Vorerbe).
Rz. 66
Es ist nicht notwendig, dass die Befreiungsanordnung in derselben Verfügung enthalten ist, in welcher auch die Vor- und Nacherbeinsetzung angeordnet ist.
§ 2136 BGB ist abschließend, eine weitergehende Befreiungsanordnung ist nicht möglich. Daher kann der Erblasser von unentgeltlichen, vom Nacherben nicht genehmigten Verfügungen i.S.d. § 2113 BGB, wie u.a. die Eigentumsübertragung durch Auflassung, nicht befreien.
Rz. 67
Unentgeltliche Verfügungen sind mit Ausnahme von Pflicht- und Anstandsschenkungen (vgl. auch §§ 1641, 1804, 2205 BGB) unwirksam (§ 2113 Abs. 2 S. 2 BGB), sofern sie das Nacherbenrecht beeinträchtigen oder vereiteln (§ 2113 Abs. 2, 1 BGB). Eine Verfügung ist im Allgemeinen dann als unentgeltlich anzusehen, wenn der Vorerbe über einen Nachlassgegenstand verfügt, ohne dass dem Nachlass eine objektiv gleichwertige Gegenleistung zugeführt wird. Die unentgeltliche Überlassung von Wohn- oder Geschäftsräumen stellt regelmäßig eine Leihe dar und verstößt nicht gegen § 2113 Abs. 2 BGB.
Rz. 68
Bei unentgeltlichen Zuwendungen wird der gutgläubige Erwerb geschützt (§ 2113 Abs. 3 BGB i.V.m. § 892 bzw. §§ 932 ff. BGB). Der Gutglaubensschutz bezieht sich zum einen auf die Unkenntnis des Erwerbers darüber, dass der erworbene Gegenstand der Nacherbenbindung unterliegt, zum anderen auf die irrtümliche Annahme der Befreiung des Vorerben von der Beschränkung des § 2113 Abs. 1 BGB. Ist hingegen ein die Anordnung der Nacherbfolge nicht enthaltender Erbschein erteilt worden, so richtet sich der Gutglaubensschutz des Erwerbers nach den §§ 2365–2367 BGB mit der Folge, dass nur positive Kenntnis schadet.
Rz. 69
Vom Surrogationsprinzip (§ 2111 BGB) kann ebenso wenig befreit werden wie von der Beschränkung der Eigengläubiger des Vorerben bei Zwangsverfügungen (§ 2115 BGB), von der Verpflichtung zur Inventarisierung (§ 2121 BGB), von der Verpflichtung, den Zustand des Nachlasses durch einen Sachverständigen feststellen zu lassen (§ 2122 S. 2 BGB) als auch von der Verpflichtung, Schadensersatz zu leisten (§ 2138 Abs. 2 BGB).
Rz. 70
Ob und in welchem Umfang eine Befreiung (§ 2136 BGB) gewollt ist, ist im Zweifel nach den allgemeinen Regeln für die Auslegung einer letztwilligen Verfügung zu beurteilen. Zur Klärung der Frage, ob in einer letztwilligen Verfügung eine Befreiungsanordnung beinhaltet ist, kann darauf abzustellen sein, ob der Erblasser beabsichtigt, dass der Nachlass dazu dienen soll, dem Vorerben für den Rest seines Lebens ein sicheres Auskommen zu beschaffen, wohingegen der Wille, das Vermögen als Einheit zu erhalten, gegen eine Befreiungsanordnung spricht. Aus der Erbeinsetzung unter der Bezeichnung "Alleinerbe" kann nicht ohne Weiteres auf einen Befreiungswillen geschlossen werden.
Rz. 71
Ist grundsätzlich von einem Befreiungswillen auszugehen, ohne dass aus der Befreiungsanordnung Rückschlüsse auf den Umfang der Befreiung zu ziehen sind, dann ist im Zweifel von einer Gesamtbefreiung auszugehen (§ 2137 BGB). Setzt beispielsweise der Erblasser den Nacherben auf dasjenige, was vom Nachlass übrig ist (§ 2137 Abs. 1 BGB), oder soll laut Verfügung der Vorerbe zur freien Verfügung über den Nachlass berechtigt sein (§ 2137 Abs. 2 BGB), so wird Gesamtbefreiung vermutet.
Rz. 72
Ebenso kann die Befreiung auf Verfügungen über bestimmte Nachlassgegenstände, beispielsweise ein bestimmtes Grundstück, beschränkt werden. Möglich ist auch, die Befreiung von einer Bedingung oder Befristung abhängig zu machen. Tritt an Stelle des Vorerben eine andere Person (insbesondere ein Ersatzvorerbe), ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob sich die Befreiung auch auf diese Person erstreckt.
Rz. 73
Fehlt eine Befreiungsanordnung und lässt sich auch durch Auslegung (§ 2084 BGB) ein dahingehender Erblasserwillen nicht ermitteln, so gilt nach der gesetzlichen Regelung die beschränkte Verfügungsmacht des (nicht befreiten) Vorerben (§§ 2112 ff. BGB).
Praxishinweis
Der nicht befreite Vorerbe hat beispielsweise für den durch eine Verwendung von Erbschaftsgegenständen zu eigenen Zwecken eingetretenen Substanzverlust Ersatz zu leisten (§ 2134 S. 1 BGB). Im Falle einer entgeltlichen Verfügung geht die Surrogation (§ 2111 BGB) dem Anspruch aus § 2134 S. 1 BGB vor. Maßgeblich für die Höhe des Wertersatzes ist der Wert zum Zeitpunkt der Verwendung.
Rz. 74
Formulierungsbeispiel: Anordnung einer (Gesamt)Befreiung
Ich (…), geb. am (…) in (…), bestimme zu meinem alleinigen Erben (…), geb. am. (…) in (…). Der Alleinerbe ist allerdings nur Vorerbe und als solcher von alle...