Dr. Holger Niehaus, Detlef Burhoff
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die sachlich-rechtliche Überprüfung eines wegen einer Abstandsunterschreitung ergangenen Urteils setzt neben Kenntnissen der aktuellen Rechtsprechung zu Fragen der Messwertgewinnung ein qualifiziertes Wissen um den richtigen Einsatz des revisionsrechtlichen Instrumentariums im Rechtsbeschwerdeverfahren voraus. |
2. |
Die schriftliche Begründung eines Urteils wegen eines Abstandsverstoßes muss den sich aus § 71 Abs. 1 i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO ergebenden allgemeinen Anforderungen an die Darlegung der wesentlichen Urteilsgrundlagen genügen. |
3. |
Für die gebotene Darstellungsdichte des Abstandsverstoßes selbst ist entscheidend, ob das eingesetzte Messverfahren als standardisiertes Messverfahren anerkannt ist oder nicht. |
4. |
Erfolgte die Abstandsmessung mit einem standardisierten Verfahren, genügt das Urteil grds. (schon) dann den Anforderungen, wenn in ihm das Messverfahren, die Geschwindigkeit und der vorwerfbare Abstand mitgeteilt werden. |
5. |
Erfolgte die Abstandsmessung nicht mithilfe eines gerade für Abstandsmessungen als standardisiert anerkannten Verfahrens, hat das Tatgericht dann nach allgemeinen Regeln in verständlicher und widerspruchsfreier Darstellung das Messverfahren und die durchgeführten Auswertungen und Berechnungen sowie seine Erwägungen zur Beweiswürdigung zu beschreiben. |
Rdn 98
Literaturhinweise:
Fromm, Neue Entwicklung der Rechtsprechung zum subjektiven Tatbestand bei Abstandsverstößen nach § 4 StVO, DAR 2020, 115
Gieg, Die strafprozessuale Verfahrensrüge in Straßenverkehrssachen, DAR 2012, 624
Krumm, Abstandsverstöße (2015 bis 2020), SVR 2021, 137
s. auch die Hinw. bei → Abstandsmessung, Allgemeines, Rdn 67, → Abstandsmessung, Urteil, tatsächliche Feststellungen, Rdn 107 und → Identifizierung anhand eines Lichtbildes, Allgemeines, Rdn 2553.
Rdn 99
1. Die sachlich-rechtliche Überprüfung eines neben der Geldbuße vielfach auch eine Fahrverbotsanordnung aussprechenden Urteils wegen einer Abstandsunterschreitung entweder
setzt neben Kenntnissen der aktuellen Rechtsprechung zu Fragen der Messwertgewinnung ein qualifiziertes Wissen um den richtigen Einsatz des revisionsrechtlichen Instrumentariums im Rechtsbeschwerdeverfahren voraus (Gieg/Olbermann DAR 2009, 617; zur Parallelsituation bei Geschwindigkeitsüberschreitungen → Geschwindigkeitsüberschreitung, Urteil, Checkliste, Rdn 2186 und speziell zum Rechtsfolgenausspruch ergänzend → Fahrverbot, Anforderungen an das Urteil, Rdn 1506; → Geldbuße, wirtschaftliche Verhältnisse, Rdn 1869; zum Rotlichtverstoß → Rotlichtverstoß, Urteil, Checkliste, Rdn 3386 und → Fahrverbot, qualifizierter Rotlichtverstoß, Rdn 1694). Die nachfolgende Checkliste soll helfen, erfahrungsgemäß erfolgversprechende Ansätze sachlich-rechtlicher Rügeoptionen aufzuzeigen. Insbesondere ist das Augenmerk auf die von der Verteidigung auszuführenden und unerwartet vielfältigen Möglichkeiten der sog. “Darstellungsrüge zu richten.
Rdn 100
2. Die schriftliche Begründung eines Urteils wegen eines Abstandsverstoßes muss den aus § 71 Abs. 1 i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO resultierenden allgemeinen Anforderungen an die Darlegung der wesentlichen Urteilsgrundlagen genügen, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung auf Rechtsfehler zu ermöglichen (BeckOK StPO/Peglau, § 267 Rn 1). Aus Sicht der Verteidigung ist der Aufwand für Vorbereitung und Abfassung der Rechtsbeschwerdebegründung hoch und der voraussichtliche Rechtsmittelerfolg ist nicht prognostizierbar. Denn Ziel der revisionsrechtlichen Sachrüge ist und bleibt (nur) die Kontrolle der zutreffenden Anwendung des materiellen Rechts auf den im Urteil festgestellten Sachverhalt mit der Folge, dass Umstände, die dort keinen Niederschlag gefunden haben, prinzipiell nur mit einer den strengen Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO (i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1) genügenden Verfahrensrüge der gerichtlichen Kontrolle zugänglich sind (Gieg DAR 2012, 624).
Rdn 101
Die Erfüllung der wichtigsten allgemeinen Anforderungen kann durch folgende Kontrollfragen abgeklärt werden (auch → Urteil, Allgemeine Feststellungen, Rdn 3739):
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Ist dem Urteil zu entnehmen, ob und wie sich der Betroffene in der HV zum Tatvorwurf eingelassen und wie das Gericht eine etwaige Sacheinlassung (z.B. Einräumen oder Bestreiten der Fahrereigenschaft oder substantiiertes Bestreiten der Ergebnisse der Abstandsmessung) gewürdigt hat (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 1.9.2020 – 1 StR 205/20; OLG Koblenz, Beschl. v. 22.11.2021 – 2 OWi 32 SsBs 240/21; OLG Bamberg OLGSt StPO § 267 Nr. 22 = VRR 2010, 32 [Gieg]; OLG Jena VRS 115, 431; OLG Karlsruhe NZV 2007, 256 = VRR 2007, 35 [Böhm]; OLG Stuttgart NStZ-RR 2007, 382)? |
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Enthält das Urteil hinreichende Feststellungen zur Schuldform, insbesondere bei einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Tatbegehung? Vorsatz darf nicht allein mit dem Ausmaß... |