Detlef Burhoff, Michael Eggers
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die gesetzliche Regelung sieht in ihrer zentralen Vorschrift des § 257c für das Hauptverfahren eine "Verständigung" vor. Die Vorschrift des § 257c wird in den §§ 160b, 202a, 212 für das EV und für den Bereich des gerichtlichen Verfahrens außerhalb der HV durch sog. "kommunikative Elemente" der Erörterungen des Standes des Verfahrens flankiert. |
2. |
Schon bald nach dem Inkrafttreten der Regelung am 4.8.2009 hat die Verständigung in Karlsruhe beim BVerfG auf dem Prüfstand gestanden, das die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen grds. bestätigt hat. |
3. |
Das gesetzliche System der Regelung der Absprachen/Verständigung im Strafverfahren und deren Grundsätze ist in den §§ 160b, 202a, 212, 257c normiert. |
Rdn 135
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Absprachen/Verständigung, Allgemeines, Teil A Rdn 126.
Rdn 136
1.a) Die gesetzliche Regelung von Absprachen im Strafverfahren sieht in der zentralen Vorschrift des § 257c für das Hauptverfahren eine "Verständigung" vor. Die Vorschrift des § 257c wird in den §§ 160b, 202a, 212 für das EV und für den Bereich des gerichtlichen Verfahrens außerhalb der HV durch sog. "kommunikative Elemente" der → Erörterungen des Standes des Verfahrens, Teil E Rdn 2420, flankiert. Diese dienen vor allem auch der Vorbereitung einer Verständigung nach § 257c (BT-Drucks. 16/12310, S. 2; Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 2627; N/Sch/W/Schlothauer, § 160b Rn 6 ff.; auch noch BGH NStZ 2012, 347). Dieses Regelungsgefüge macht deutlich, dass die eigentliche bindende "Verständigung" der HV vorbehalten ist, sie aber i.d.R. vorbereitet werden wird und vorbereitet werden muss, wozu die → Erörterungen des Standes des Verfahrens, Teil E Rdn 2420, dienen. Diese – im Gesetz und in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/12310) allerdings nicht deutlich gemachte Sicht – entspricht der früheren Verfahrensweise der Praxis. An ihr hat die Rspr. des BGH nach Inkrafttreten der neuen Vorschriften auch festgehalten (→ Absprachen/Verständigung, Zustandekommen, Teil A Rdn 216).
Rdn 137
b) Festzuhalten ist danach: Die gesetzliche Regelung in § 257c stellt klar, dass die bindende (formelle) Absprache/Verständigung nur in der HV getroffen werden kann. Alle anderen Vereinbarungen/Verständigungen/Absprachen aus dem EV sind nur vorbereitende "Vereinbarungen"/Erörterungen, die an der Bindungswirkung des § 257c Abs. 4 nicht teilhaben (BVerfG NJW 2013, 1058; BGH NStZ 2011, 107 m. Anm. Burhoff StRR 2010, 382; 2017, 56; StV 2011, 74; 2011, 645; 2011, 728; Beschl. v. 13.12.2022 – 1 StR 380/22, NStZ-RR 2023, 83 m. Anm. Gehm StRR 5/2023, 15 und m. Anm. Gotzens/Mayr wistra 2023, 388). Das folgt allein schon daraus, dass zumindest an einer im Rahmen von → Erörterungen des Standes des Verfahrens, Teil E Rdn 2420, nach § 160b zustande gekommenen vorbereitenden Vereinbarung das Gericht nicht beteiligt ist (zur Beteiligung des Gerichts s.a. Abraham StV 2021, 606 ff.). Allerdings kann auch insoweit eine "informelle" Bindungswirkung entstehen (dazu → Absprachen/Verständigung, Verfahren, Teil A Rdn 197; Meyer-Goßner/Schmitt, § 160b Rn 9 ff.; BGHSt 52, 165). Auch kann ggf. ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliegen (dazu aber BGH NStZ 2011, 107; Meyer HRRS 2011, 17 ff.; Jahn StV 2011, 497, 500 m.w.N.; noch Pauka/Armenat StraFo 2019, 5 zu BVV und Feichtlbauer bzw. Strelitz, jew. a.a.O.).
Rdn 138
2.a) Schon bald nach dem Inkrafttreten der Regelung am 4.8.2009 hat die Verständigung in Karlsruhe beim BVerfG auf dem Prüfstand gestanden. Sie hat dort die verfassungsrechtliche Überprüfung mit Mühe bzw. gerade eben noch über-/bestanden. Das BVerfG hat in seinem Urt. v. 19.3.2013 (NJW 2013, 1058 ff.) – wie teilweise formuliert worden ist – „Bewährung gegeben. Hintergrund für die Bedenken und Kritik des BVerfG war sicherlich auch, dass von ihm eingeholte SV-Gutachten von Prof. Altenhain, das zu dem Ergebnis gekommen war, dass sich die Praxis nur wenig/kaum an die gesetzlichen Vorgaben gehalten hat (BVerfG, a.a.O.; zur Zulässigkeit nach der EMRK EGMR NJW 2015, 1745).
☆ Die Entscheidung des BVerfG stellt eine Zäsur im Recht der Verständigung. Die bis dahin ergangene Rspr. muss daher sorgfältig daraufhin überprüft werden, ob sie nach dem Urt. v. 19.3.2013 noch und wenn ja, ggf. wie modifiziert, angewendet werden kann (zu der seit Inkrafttreten der [Neu-]Regelung in den ersten Jahren bekannt gewordenen Rspr. die Übersichten von Bittmann NStZ-RR 2011, 102; Jahn StV 2011, 497; zu ersten praktischen Erfahrungen mit der Neuregelung Nobis StRR 2012, 84 ff.; zur Anwendung der Entscheidung vom 19.3.2013 eingehend H. Schneider NStZ 2014, 192 ff.; ders. , NStZ 2014, 252 ff.).Zäsur im Recht der Verständigung. Die bis dahin ergangene Rspr. muss daher sorgfältig daraufhin überprüft werden, ob sie nach dem Urt. v. 19.3.2013 noch und wenn ja, ggf. wie modifiziert, angewendet werden kann (zu der seit Inkrafttreten der [Neu-]Regelung in den ersten Jahren bekannt gewordenen Rspr. die Übersichten von Bittmann NStZ-RR 2011, 102; Jahn ...