Dr. Holger Niehaus, Detlef Burhoff
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Hinsichtlich der Rechtsmittel des Verteidigers gegen die Ablehnung der Akteneinsicht (AE) ist zu unterscheiden, welche Behörde bzw. ob das Gericht die Entscheidung getroffen hat. |
2. |
Der Betroffene kann gegen die Ablehnungsentscheidung i.d.R. die gerichtliche Entscheidung nach § 62 beantragen. |
3. |
Der Verletzte kann gegen die Versagung der AE durch die Verwaltungsbehörde die gerichtliche Entscheidung gem. § 62 beantragen. |
Rdn 168
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Akteneinsicht, Allgemeines, Rdn 144.
Rdn 169
1.a) Hinsichtlich der Rechtsmittel des Verteidigers gegen die Ablehnung eines Akteneinsichtsgesuchs oder die Ablehnung der Offenlegung von Messunterlagen, Lebensakte etc., die sich nicht bei der Akte befinden, aber zur Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung benötigt werden, muss danach unterschieden werden, welche Behörde (Bußgeldbehörde, Staatsanwaltschaft) oder ob das Gericht die Entscheidung getroffen hat (→ Akteneinsicht, Verfahren, Rdn 230).
Rdn 170
aa)(1) Gegen die Versagung der Akteneinsicht durch die Verwaltungsbehörde ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 (→ Antrag auf gerichtliche Entscheidung [§ 62], Rdn 341, 346) zulässig (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, § 60 Rn 54a; Burhoff VRR 2011, 250 f.; Cierniak/Niehaus DAR 2014, 2, 6, jeweils mit zahlreichen Nachweisen aus der Rspr.).
Rdn 171
(2) Soweit die Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung von einigen AG verneint wird (vgl. etwa AG Dresden, Beschl. v. 11.4.2017 – 217 OWi 398/17; weitere Nachw. unter → Akteneinsicht, Umfang, Messunterlagen, Bedienungsanleitung u.a. Rdn 223), überzeugt dies nicht (Burhoff VRR 2011, 75). Nicht tragfähig ist insbesondere die Begründung, die Akteneinsichts- bzw. Offenlegungsentscheidung der Verwaltungsbehörde habe "keine selbstständige Bedeutung", sondern erschöpfe sich in der Vorbereitung der abschließenden Entscheidung (dem Erlass des Bußgeldbescheides). Denn die Akteneinsichts- bzw. Offenlegungsentscheidung hat vielmehr ganz entscheidende Bedeutung dafür, ob der Betroffene überhaupt in die Lage versetzt wird, Rechtsschutz in seinem OWi-Verfahren zu erlangen. Die vereinzelte Rechtsprechung dieser AG führt im Zusammenwirken mit der Rechtsprechung zahlreicher OLG im Rahmen der Rechtsbeschwerde dazu, dass dem Betroffenen im Ergebnis jede Möglichkeit genommen wird, insbesondere eine Geschwindigkeitsmessung zu hinterfragen: Denn im Ermittlungsverfahren soll die ablehnende Entscheidung auf das Offenlegungsgesuch als vorbereitende Maßnahme nicht gerichtlich überprüfbar sein (z.B. AG Dresden, a.a.O.). Im Hauptverfahren gebietet dann die Aufklärungspflicht weitere Beweiserhebungen nicht, weil sich keine Zweifel an der Richtigkeit der Messung ergeben haben. Woraus sollten sich diese auch ergeben, wenn dem Betroffenen im Ermittlungsverfahren die Möglichkeit zur Überprüfung genommen wird (vgl. AG Emmendingen, Urt. v. 13.11.2014 – 5 OWi 530 Js 17298 ["Wie soll denn ein Verteidiger eine Messung in Frage stellen, wenn er deren Grundlage nicht kennt?"])? Und die Rechtsbeschwerde ist dann unzulässig, weil der Betroffene nicht vorgetragen hat, was er vorgetragen hätte, wenn er Akteneinsicht erhalten hätte bzw. die verlangten Unterlagen offengelegt worden wären. Wie sollte ihm dies indes möglich sein, wenn ihm die Einsicht verweigert wird (vgl. Burhoff VRR 2011, 75["Teufelskreis"])? Mit einem fairen Verfahren ist dies nicht vereinbar.
Rdn 172
Die Begründung etwa des AG Dresden (AG Dresden, Beschl. v. 11.4.2017 – 217 OWi 398/17), das meint das "Ansinnen" des Betroffenen auf Offenlegung der nicht bei der Akte befindlichen Messunterlagen laufe auf eine "pauschale, damit unzulässige Ausforschung, die nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung sein kann" hinaus und dem Betroffenen seien doch durch die bereits gewährte Akteneinsicht "sämtliche Beweise", auf die der Schuldvorwurf gestützt wird, offengelegt worden) verkennt im Übrigen (exemplarisch), dass der aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 EMRK) herzuleitende Anspruch des Betroffenen auf Einsicht in die Messunterlagen etc. nichts mit der gerichtlichen Aufklärungspflicht (damit auch nichts mit "unzulässiger Ausforschung" o.ä.) zu tun hat. Der Verteidiger soll durch die von ihm beantragte Einsicht überhaupt erst in die Lage versetzt werden, sich kritisch mit den von der Behörde vorgelegten Messergebnissen auseinanderzusetzen (Cierniak/Niehaus DAR 2014, 2, 4 [Herstellung einer Parität des Wissens]; dies. DAR 2018, 541; dazu auch BGH, Beschl. v. 10.5.2017 – 1 StR 145/17, NStZ 2017, 549 = StraFo 2017, 279). Welche Unterlagen er dazu einsehen will und ob diese für das Verfahren erheblich sind, entscheidet nicht das Gericht, sondern er allein.
Rdn 173
(3) Teilweise wird hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung eine differenzierende Betrachtung empfohlen (Göhler/Seitz/Bauer, § 60 Rn 54a). Der Gesetzgeber habe durch die Einführung des § 147 Abs. 5 S. 2 StPO für das Strafverfah...