Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Die mit der Bindungswirkung zusammenhängenden Fragen sind in § 257c Abs. 4 und 5 geregelt. |
2. |
Nach § 257c Abs. 4 S. 1 entfällt die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. |
3. |
Nach § 257c Abs. 4 S. 2 entfällt die Bindung des Gerichts nach § 257c Abs. 4 S. 2 auch dann, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, welches das Gericht seiner Prognose zugrunde gelegt hat. |
4. |
Für den Fall der "gescheiterten Absprache" ist in § 257c Abs. 4 S. 3 ausdrücklich ein BVV für das Geständnis des Angeklagten normiert. |
5. |
Das Entfallen der Bindungswirkung der Verständigung für das Gericht nach § 257c Abs. 4 S. 1 tritt nicht kraft Gesetzes ein, sondern erfordert eine dahingehende gerichtliche Entscheidung. |
6. |
Durch die Mitteilung über das Entfallen der Bindung an die Verständigung wird das Verfahren in den Stand vor Zustandekommen der Verständigung zurückversetzt. |
Rdn 306
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Absprachen/Verständigung, Allgemeines, Teil A Rdn 199.
1.a) Die mit der Bindungswirkung betreffend eine Verständigung zusammenhängenden Fragen sind in § 257c Abs. 4 und 5 geregelt.
Rdn 307
Systematisch sind die Fragen wie folgt geregelt:
▪ |
§ 257c Abs. 4 S. 1 enthält die Regelung zur Bindung des Gerichts (Teil A Rdn 308 ff.). |
▪ |
§ 257c Abs. 4 S. 1 u. 2 enthalten die Regelung, wann die Bindung des Gerichts entfällt (dazu Teil A Rdn 310 ff.). |
▪ |
§ 257c Abs. 4 S. 3 regelt die für den Angeklagten wesentliche und wichtige Frage, wie mit seinem i.d.R. im Rahmen einer Verständigung abgelegten Geständnis umzugehen ist (dazu Teil A Rdn 316 ff.). |
▪ |
§ 257c Abs. 4 S. 4 und Abs. 5 enthält eine Mitteilungspflicht (dazu Teil A Rdn 317 ff.). |
Rdn 308
b) Hintergrund dieser Regelungen ist/war die Überlegung, dass sich der Angeklagte in der Praxis auf eine Verständigung nur einlassen wird, wenn das Gericht an die getroffenen Absprachen gebunden ist (a. BVerfG NStZ 2016, 422). Das folgt allein schon daraus, dass der Angeklagte nach § 257c Abs. 2 S. 2 i.d.R. als "Vorleistung" ein Geständnis ablegen soll. Deshalb war die obergerichtliche Rspr. (dazu Meyer-Goßner/Schmitt, § 257c Rn 26) schon in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass das Gericht an im Rahmen einer Absprache gemachte Zusagen grds. gebunden war, falls sich nicht nachträglich neue, unbekannte Gesichtspunkte ergaben (BGHSt 43, 195) oder schon bei der Urteilsabsprache vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen worden waren (BGHSt 50, 40; a. BGH NStZ 2004, 493; 2005, 115; zuletzt aber a. BGH NStZ 2009, 562). Das Gericht konnte dann von einer Zusage abrücken, musste dem Angeklagten aber einen Hinweis erteilen (BGHSt 50, 40; BGH NStZ 2005, 115, jew. m.w.N.; zur Bindungswirkung eingehend Kölbel NStZ 2002, 74). Entsprechendes galt auch für eine "gescheiterte" Absprache, wenn die Veränderung der für die Strafzumessung erheblichen Sachlage nicht erkennbar war (BGH NStZ 2002, 219; s. aber BGH NStZ 2003, 563 zur Frage der Schutzwürdigkeit des Angeklagten; eingehend auch Weider NStZ 2002, 174 in der Anm. zu BGH, a.a.O.).
☆ Hält sich die StA/das Gericht (in der HV) nicht an eine (im EV vorab) in Aussicht genommene Verständigung (wegen Einzelh. Burhoff , EV, Rn 125 ff.), kann sich daraus für den Angeklagten ein wesentlicher Strafmilderungsgrund ergeben (BGHSt 37, 10; 42, 191 [ggf. Gebot des fairen Verfahrens verletzt]; 36, 210; BGH NJW 1999, 370; a. BGH NStZ 2005, 115 [Zusage der – rechtlich nicht möglichen – Einbeziehung einer Einzelstrafe in eine Gesamtstrafe]); Nack StraFo 1998, 368; Wesemann/Müller StraFo 1998, 113; a.A. Beulke/Satzger JuS 1997, 1077 ff.). Darauf sollte der Verteidiger dann in seinem Plädoyer hinweisen (s.a. LG Koblenz NStZ 1988, 311 [Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe, weil – später nicht eingehaltene – Zusagen gemacht worden sind]). Einem vom Gericht zu Beginn der HV unterbreiteten Verständigungsvorschlag liegt aber regelmäßig – für alle Beteiligten ersichtlich – die Erwartung zugrunde, dass der Angeklagte zeitnah dazu ein Geständnis ablegt und damit die Verhandlungsdauer verkürzt. Ein solcher Vorschlag begründet daher nicht das für die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 2 erforderliche Vertrauen dahingehend, dass die ursprüngliche Strafrahmenzusage auch für ein späteres Geständnis gilt (BGH, Beschl. v. 23.11.2021 – 5 StR 300721, NStZ 2022, 191; → Hinweis auf veränderte Sach-/Rechtslage , Teil A Rdn 2172 ).Burhoff, EV, Rn 125 ff.), kann sich daraus für den Angeklagten ein wesentlicher Strafmilderungsgrund ergeben (BGHSt 37, 10; 42, 191 [ggf. Gebot des fairen Verfahrens verletzt]; 36, 210; BGH NJW 1999, 370; a. BGH NStZ 2005, 115 [Zusage der – rechtlich nicht möglichen – Einbeziehung einer Einzelstrafe in e...