Rdn 388

1. Gem. § 86 Abs. 1 S. 1 wird ein Bußgeldbescheid aufgehoben, wenn später wegen derselben Handlung eine Verurteilung als Straftat erfolgt. Die Aufhebung nimmt das Strafgericht mit der Verurteilung vor. Der Sinn dieser Regelung erschließt sich aus § 84 Abs. 1. Ein Bußgeldbescheid erwächst zwar in materielle Rechtskraft, allerdings entfaltet er eine Sperrwirkung nur für eine (weitere) Ahndung als OWi. Für eine Verfolgung als Straftat besteht diese Sperrwirkung also nicht. Kommt es zu einer solchen strafrechtlichen Verurteilung, muss der Bußgeldbescheid beseitigt werden. Hierfür bietet § 86 ein einfaches Verfahren und macht damit ein zusätzliches Wiederaufnahmeverfahren entbehrlich. Gleichzeitig wird damit § 21 Abs. 1 S. 1 Geltung verschafft, wonach nur das Strafgesetz anzuwenden ist, wenn eine Handlung gleichzeitig als OWi zu bewerten ist (KK/Lutz, § 86 Rn 1).

 

☆ Kein Raum für die Anwendung des § 86 besteht indes, wenn auf den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid eine gerichtliche (Sach-)Entscheidung ergangen ist. Denn bei einer gerichtlichen Bußgeldentscheidung kann die Tat gem. § 84 Abs. 2 S. 1 nicht mehr verfolgt werden, auch nicht als Straftat (→ Rechtskraft der bußgeldrechtlichen Entscheidung , Rdn 3208 ). In diesem Fall ist eine spätere Korrektur und Ahndung nach einem Strafgesetz nur unter den Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens möglich (§ 85 Abs. 3, § 362 StPO; → Wiederaufnahme des Verfahrens , Rdn 4228 ).gerichtlichen Bußgeldentscheidung kann die Tat gem. § 84 Abs. 2 S. 1 nicht mehr verfolgt werden, auch nicht als Straftat (→ Rechtskraft der bußgeldrechtlichen Entscheidung, Rdn 3208). In diesem Fall ist eine spätere Korrektur und Ahndung nach einem Strafgesetz nur unter den Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens möglich (§ 85 Abs. 3, § 362 StPO; → Wiederaufnahme des Verfahrens, Rdn 4228).

 

Rdn 389

a) Nicht von Bedeutung ist, ob der Bußgeldbescheid bereits rechtskräftig wurde. Es reicht aus, dass der Bescheid "ergangen" ist (BGH, Beschl. v. 1.9.1976 – 2 StR 50/76). Hat der Betroffene allerdings gegen den Bescheid Einspruch eingelegt und wurde das Verfahren sodann gem. § 69 Abs. 3 S. 1 an das AG abgegeben, kann selbstverständlich kein zweites Verfahren unter dem Gesichtspunkt des § 84 Abs. 1 eingeleitet werden, weil das Gericht in der Bußgeldsache die Tat auch in strafrechtlicher Hinsicht zu würdigen hat und deshalb das Verfahren auch insoweit rechtshängig ist. Im umgekehrten Fall, also bei Anklageerhebung und gleichzeitigem Einspruchsverfahren vor Abgabe an das AG, besteht für das Bußgeldverfahren ein Verfolgungshindernis (i.Ü. bereits mit Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch die StA [§ 44]). Werden gleichwohl zwei Verfahren parallel geführt, besteht für das Bußgeldverfahren ein Verfolgungshindernis. Das folgt aus der Priorität des Strafrechts gegenüber dem Bußgeldrecht (§§ 21 Abs. 1, 44).

 

Rdn 390

b) Die Aufhebung des Bußgeldbescheids ist nur möglich, wenn wegen derselben Handlung eine spätere Verurteilung im Strafverfahren erfolgt. Eine Verurteilung wegen der Tat im prozessualen Sinn reicht nicht aus (OLG Nürnberg StraFo 2012, 468 = wistra 2012, 450; Göhler/Seitz/Bauer, § 86 Rn 2; → Konkurrenzen, Rdn 2654 und → Tatbegriff im Bußgeldverfahren, Rdn 3481).

 

Rdn 391

2. Gem. § 86 Abs. 1 S. 2 wird der Bußgeldbescheid zudem aufgehoben, wenn der Angeklagte wegen einer Straftat zwar nicht verurteilt wird, die Feststellungen des Gerichts dem Bußgeldbescheid aber entgegenstehen. Auch hier wird die Nähe zum förmlichen Wiederaufnahmeverfahren gem. § 85 deutlich, das aus Gründen der Prozessökonomie vermieden werden soll.

 

☆ Wird der Angeklagte freigesprochen , weil sich die Täterschaft insgesamt nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen lässt oder steht sogar die Unschuld fest, ist der Bußgeldbescheid durch das Strafgericht gem. § 86 Abs. 1 S. 2 aufzuheben. Diese Konsequenz folgt aber nicht aus jedem Freispruch. Der Bußgeldbescheid bleibt bspw. dann unangetastet, wenn nach der Beweisaufnahme ein Überholverstoß mit Gefährdung anderer (durch Bußgeldbescheid geahndet) unzweifelhaft ist, aber der Nachweis einer grob verkehrswidrigen und rücksichtlosen Begehung i.S.d. § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) StGB nicht erbracht werden kann und der Angeklagte vom Strafvorwurf freigesprochen wird (s.a. KK/ Lutz , § 86 Rn 11; Göhler/Seitz/Bauer , § 86 Rn 6).Angeklagte freigesprochen, weil sich die Täterschaft insgesamt nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen lässt oder steht sogar die Unschuld fest, ist der Bußgeldbescheid durch das Strafgericht gem. § 86 Abs. 1 S. 2 aufzuheben. Diese Konsequenz folgt aber nicht aus jedem Freispruch. Der Bußgeldbescheid bleibt bspw. dann unangetastet, wenn nach der Beweisaufnahme ein Überholverstoß mit Gefährdung anderer (durch Bußgeldbescheid geahndet) unzweifelhaft ist, aber der Nachweis einer grob verkehrswidrigen und rücksichtlosen Begehung i.S.d. § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) StGB nicht erbracht werden kann und der Angeklagte vom Strafvorwurf fr...

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