Detlef Burhoff, Thomas Hillenbrand
Rdn 388
Literaturhinweise:
Bahnsen, Das Akteneinsichtsrecht der Verteidigung im Strafverfahren, 1996
Burhoff, Das Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers nach § 147 StPO, HRRS 2003, 182
Meglalu, Das Akteneinsichtsrecht der Verteidigung, 2022
Nadeborn, Herausgabe von TKÜ-Daten nach dem neuen Akteneinsichtsrecht, PStR 2018, 118
Pfeiffer, Das Akteneinsichtsrecht des Strafverteidigers, in: Festschrift für Walter Odersky, 1996, S. 453
Schäfer, Die Grenzen des Rechts auf Akteneinsicht durch den Verteidiger, NStZ 1984, 203
Schneider, Grundprobleme des Rechts der Akteneinsicht des Strafverteidigers, Jura 1995, 337
Welp, Probleme des Akteneinsichtsrechts, in: Festgabe für Karl Peters, 1984, S. 309.
Rdn 389
1.a) Der Verteidiger kann nach § 147 grds. während des gesamten Verfahrens die Akten einsehen (zum AER allgemein die eingehende Darstellung bei Burhoff, EV, Rn 225 ff.).
Rdn 390
b) Dieser Grundsatz wird nach h.M. jedoch nicht für den Verfahrensabschnitt der HV angewendet, da das Gericht während der HV die Akten benötigt (OLG Stuttgart NJW 1979, 559 f. m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 147 Rn 10; a.A. mit beachtlichen Gründen LR-Lüderssen/Jahn, § 147 Rn 100, der darauf hinweist, dass das AER dem Verteidiger nicht nur einmal zusteht). Etwas anderes gilt aber auf jeden Fall, wenn der Verteidiger erst während der HV gewählt oder bestellt worden ist (OLG Stuttgart, a.a.O.) oder zuvor keine ausreichende AE erhalten hatte (OLG Hamm NJW 2004, 381 [für OWi-Verfahren]; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; KK/Willnow, § 147 Rn 14; zur Einsichtnahme in das Protokoll der HV → Protokoll der Hauptverhandlung, Allgemeines, Teil P Rdn 2601; zum [verneinten] AER parlamentarischer Untersuchungsausschüsse während laufender HV OLG Stuttgart NJW 1996, 1908).
☆ Nur in diesem Fall besteht dann auch ein Anspruch auf die mit der AE notwendigerweise verbundene Aussetzung der HV wegen veränderter Sachlage nach § 265 Abs. 4 (BGH VRS 31, 188; OLG Stuttgart, a.a.O.; → Hinweis auf veränderte Sach-/Rechtslage , Teil H Rdn 2172 ), was der Verteidiger beantragen muss.Aussetzung der HV wegen veränderter Sachlage nach § 265 Abs. 4 (BGH VRS 31, 188; OLG Stuttgart, a.a.O.; → Hinweis auf veränderte Sach-/Rechtslage, Teil H Rdn 2172), was der Verteidiger beantragen muss.
Rdn 391
2. Einsicht zu gewähren ist aber – auch während der HV – in ggf. nach Anklageerhebung entstandene und/oder vom Gericht während der HV beigezogene Akten (BGHSt 30, 131, 138; zum Grundsatz der Aktenwahrheit und -vollständigkeit BGH StraFo 2015, 458). Der Grundsatz des fairen Verfahrens verpflichtet das Gericht vor allem, dem Angeklagten und seinem Verteidiger Gelegenheit zur Kenntnisnahme vom Ergebnis verfahrensbezogener (Nach-)Ermittlungen zu geben, die es während, aber außerhalb der HV angestellt hat. Das gilt z.B. für die Auswertung eines Mobilfunkgerätes des Angeklagten (BGH NStZ 2017, 549 m. zust. Anm. Tully, der das Erfordernis der "Wissensparität" betont) oder für nachgereichte Beiakten/Ergebnisse von Telefonüberwachungen (BGH StV 2010, 228; auch noch LG Berlin StV 2014, 403; LG Hamburg StV 2014, 406; LG Hannover StV 2013, 79, jeweils auch zur Frage der → Aussetzung wegen fehlender Akteneinsicht, Teil A Rdn 607). Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn das Gericht selbst das Ergebnis der Ermittlungen nicht für entscheidungserheblich hält (BGHSt 36, 305 [für Telefonüberwachung]; BGH StV 2001, 4; NStZ 2006, 115 [für umfangreichen Ermittlungsbericht]; 2017, 549, jew. m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 101 Rn 29; → Telefonkommunikationsüberwachung (TKÜ), Verwertung der Erkenntnisse in der Hauptverhandlung, Teil T Rdn 3143). Dazu genügt z.B. der Hinweis des Gerichts, dass eine Telefonüberwachung stattgefunden hat und die Ergebnisse vorliegen. Der Verteidiger kann dann von seiner sich aus § 147 ergebenden Befugnis Gebrauch machen und AE in die die Telefonüberwachung betreffenden Unterlagen nehmen. Wenn der Hinweis auf die nachträglichen Ermittlungsmaßnahmen/Telefonüberwachung allerdings den Untersuchungszweck gefährden würde, kann das Gericht den Hinweis solange aufschieben, bis die Gefährdung nicht mehr droht (BGHSt 36, 305). Einen Hinweis erteilen muss das Gericht den Verfahrensbeteiligten auch dann, wenn während der HV Urkunden oder andere Beweismittel, deren Erheblichkeit für das Verfahren nicht ausgeschlossen ist, ohne Veranlassung durch das Gericht zu den Akten gelangen (BGH StV 2001, 4 [für einen zu den Akten gelangten Brief eines Mitangeklagten]). Nach der Rspr. des BGH unterliegt es erheblichen Bedenken, wenn im Fall einer Sperrung vom Gericht auf Antrag der Verteidigung angeforderte Beiakten diese lediglich dem Gericht zur Nachprüfung der Entbehrlichkeit ihrer Vorlegung zugeleitet werden (BGH NStZ 1998, 97). Vielmehr dürfte auch insoweit das nach Anklageerhebung grds. unbeschränkte AER des Verteidigers bestehen (s.a. Burhoff, EV, Rn 404 ff.).
☆ Nicht bzw. nicht ausreichend gewährte AE muss mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden (zur im Hinblick auf § 305 S. 1 verneinten Anfechtba...