Rdn 384

 

Literaturhinweise:

Atzler, Das Recht der ehrenamtlichen Richter, die Verfahrensakten einzusehen, DRiZ 1991, 207

Dehn, Zur Besetzung des Gerichts bei Haftentscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung, NStZ 1997, 607

Ellenbogen, Das Akteneinsichtsrecht der Schöffen, DRiZ 2010, 136

Nowak, Das Recht der Schöffen auf Akteneinsicht für die Dauer der Hauptverhandlung, JR 2006, 459

Rüping, Funktionen der Laienrichter im Strafverfahren, JR 1976, 269

Schünemann, Der Richter im Strafverfahren als manipulierter Dritter?, StV 2000, 159

Terhorst, Information und Aktenkenntnis der Schöffen im Strafprozess, MDR 1988, 809

s.a. die Hinw. bei → Akteneinsicht für den Verteidiger während der Hauptverhandlung, Teil A Rdn 378.

 

Rdn 385

1.a) Die früher h.M. (in der Rspr.) ging ohne Einschränkung davon aus, dass Schöffen grds. kein Recht auf AE haben, weil dadurch der sich aus § 250 ergebende → Unmittelbarkeitsgrundsatz, Teil U Rdn 3116, verletzt werde (BGHSt 13, 73 [für wesentliches Ergebnis der Ermittlungen]; BGH MDR 1973, 19 [D]; LG Hamburg MDR 1973, 69 [für Aufhebung eines HB ohne Schöffen, wenn diesen sonst der Inhalt der Akten mitgeteilt werden müsste]; LR-Gollwitzer, § 261 Rn 31; zur Darstellung der Entwicklung Nowak JR 2006, 459 und Ellenbogen DRiZ 2010, 136 m. einer Darstellung des Streitstandes). Das gilt insbesondere auch für die Anklageschrift, die den Schöffen nach Nr. 126 Abs. 3 RiStBV, vor allem wegen des darin enthaltenen wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen, nicht zugänglich gemacht werden darf (so wohl auch noch BGHSt 43, 31; zw. aber BGH, Beschl. v. 28.10.2009 – 5 ARs 53/09; s.a. EGMR NJW 2009, 2871; Ellenbogen, a.a.O., m.w.N., und Teil A Rdn 386). Den Schöffen darf jedoch, vor allem in Verfahren mit einem umfangreichen und schwierigen Sachverhalt, nach Nr. 126 Abs. 3 S. 2 RiStBV für die Dauer der HV eine Abschrift des Anklagesatzes nach dessen Verlesung überlassen werden (→ Verlesung des Anklagesatzes, Teil V Rdn 3426).

 

☆ Der Verteidiger sollte daher, falls er während der HV feststellt, dass einem Schöffen eine vollständige Anklageschrift vorliegt, dies beanstanden und den Schöffen ggf. wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen (vgl. →  Ablehnung von Schöffen , Teil A Rdn  183 ).Befangenheit ablehnen (vgl. → Ablehnung von Schöffen, Teil A Rdn 183).

 

Rdn 386

b)aa) In den folgenden Jahren hat sich dann aber in der Rspr. ein Wandel dieser strengen Auffassung vollzogen: Der 1. Strafsenat des BGH hatte bereits im Urt. v. 23.2.1960 (1 StR 648/59) Bedenken gegen diese strikte h.M. geäußert, weil Schöffen und Berufsrichter gleich zu behandeln seien (so auch Atzler DRiZ 1991, 207; Dehn NStZ 1997, 607, 608). Während dann der BGH in einer späteren Entscheidung (NJW 1987, 1209) die Frage noch offengelassen hat, hat es der 3. Strafsenat dann 1997 für zulässig gehalten, dass Schöffen zum besseren Verständnis der Beweisaufnahme Kopien von Telefonüberwachungs-Protokollen als Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden (BGHSt 43, 36; zust. Imberger-Bayer JR 1999, 299 f. in der Anm. zu BGH, a.a.O.). Er hat außerdem darauf hingewiesen, dass er dazu neige, die Gewährung von AE an die Schöffen für zulässig anzusehen. Das entspricht der schon länger vertretenen, wohl überwiegenden Meinung in der Lit. (vgl. z.B. Meyer-Goßner/Schmitt, § 30 GVG Rn 2 m.w.N., der ebenfalls darauf verweist, dass die Schöffen den Berufsrichtern gleichgestellt sind; KK-Barthe, § 30 GVG Rn 2; Dehn, a.a.O.; Atzler DRiZ 1991, 207; Ellenbogen DRiZ 2010, 136; Rüping JR 1976, 272; Terhorst MDR 1988, 809; zust. zur BGH-Rspr. Katholnigg NStZ 1997, 507; abl./a.A wegen eines Verstoßes gegen den → Unmittelbarkeitsgrundsatz, Teil U Rdn 3116, Lunnebach StV 1997, 452 und Imberger-Bayer JR 1999, 300, jew. in der Anm. zu BGHSt 43, 36; Schünemann StV 2000, 159, 164; s.a. BGHSt 43, 360 [keine Verletzung des → Unmittelbarkeitsgrundsatzes, Teil U Rdn 3116, durch Verlesung eines nach § 209 ergangenen Vorlagebeschlusses]; zw. BGH, Beschl. v. 28.10.2009 – 5 ARs 53/09, und nicht ganz eindeutig KK-Scheuten, § 31 Rn 7).

 

Rdn 387

bb) Inzwischen hat auch der EGMR zu dieser Frage Stellung genommen (vgl. NJW 2009, 2871). Er hat ein AER der Schöffen bejaht und es nicht beanstandet, wenn den Schöffen (sogar) auch das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt worden ist. Der EGMR stellt darauf ab, dass mit der Überlassung den Schöffen nicht die Beweiswürdigung der StA zur Kenntnis gebracht wird, sondern die Überlassung erfolgt sei, um die Schöffen über den genauen Inhalt eines im Rahmen der HV abgelegten Geständnisses einer früheren Mitangeklagten zu informieren. Zudem seien Schutzvorkehrungen durch den Vorsitzenden getroffen worden, der die Schöffen vor der Überlassung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen darüber aufgeklärt habe, dass die darin enthaltene Sichtweise der StA nicht Grundlage des Urteils sei (zu allem Ellenbogen DRiZ 2010, 136 ff.).

 

Rdn 388

cc) Auf dieser Grundlage wird man die AE an Schöffen für zulässig ansehen können. Zumindest bestehen keine Bedenken, den Schöff...

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