Das Wichtigste in Kürze:

1. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des "wahren" Sachverhalts.
2. Die in § 244 Abs. 2 normierte Aufklärungspflicht wendet sich an das Gericht. Dieses ist danach grds. verpflichtet, alle den Angeklagten entlastenden und belastenden Beweismittel und -möglichkeiten auszuschöpfen.
3. Zutreffend ist es, wenn man davon ausgeht, dass das Gericht nur allen erkennbaren und sinnvollen Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts nachgehen muss.
4. Die gerichtliche Aufklärungspflicht verlangt nicht nur eine vollständige Sachaufklärung. Sie schließt vielmehr die Verpflichtung des Gerichts ein, dass das Gericht sich um den bestmöglichen Beweis bemühen muss.
5. Das mit der Aufklärungspflicht des Gerichts korrespondierende revisionsrechtliche Mittel des Verteidigers ist die sog. Aufklärungsrüge.
 

Rdn 423

 

Literaturhinweise:

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Gerst, Der "Auslandszeuge" gemäß § 244 Abs. 5 S. 2 StPO – eine Vorschrift auf dem Prüfstand der Jetztzeit, StV 2018, 755

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s.a. die Hinw. bei → Beweisantragsrecht, Allgemeines, Teil B Rdn 1184, und bei den u.a. weiterführenden Stichwörtern.

 

Rdn 424

1.a) Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des "wahren" Sachverhalts (u.a. BVerfG NJW 1983, 1043; StV 2013, 574; zum Wahrheitsbegriff Kühne GA 2008, 361). Dazu ist dem Gericht in § 244 Abs. 2 die Pflicht zu umfassender Aufklärung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen auferlegt (KK-Krehl, § 244 Rn 28 m.w.N.; zur Amtsaufklärungspflicht in Zusammenspiel mit dem Beweisantragsrecht Trüg StraFo 2010, 139, 140 f.; Alsberg/Dallmeyer, Rn 40 ff.). Das gilt auch für das Bußgeldverfahren (OLG Celle NJW 2010, 3794; OLG Hamm VRR 2010, 474; → Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Beweisaufnahme, Teil B Rdn 1519 ff.).

 

Rdn 425

b) Dieser Amtsaufklärungs-/Untersuchungsgrundsatz verpflichtet den Tatrichter nach Auffassung der Rspr., den Sachverhalt im Rahmen der angeklagten Tat unter Ausschöpfung aller bekannten oder sich aufdrängenden Erkenntnismittel solange zu erforschen, wie auch nur die entfernte Möglichkeit einer Änderung der bisher begründeten Vorstellung von dem zu beurteilenden Sachverhalt besteht (st.Rspr. des BGH; vgl. u.a. BGHSt 1, 94, 96; zuletzt BGHSt 38, 369; zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Aufklärungspflicht BVerfG NJW 2003, 2444; zu allem auch Herdegen NJW 2003, 3513). Von der Lit. wird das einschränkender beurteilt: Sie geht davon aus, dass der Tatrichter dann zur Aufklärung verpflichtet ist, wenn ihm noch Umstände oder Möglichkeiten bekannt oder erkennbar sind, "die bei verständiger Würdigung der ...

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