Das Wichtigste in Kürze:

1. Ausgeblieben ist nicht nur der körperlich nicht anwesende, sondern auch der verhandlungsunfähige Angeklagte.
2. Das Gericht muss einen Vorführungs- oder einen Haftbefehl erlassen, wenn das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist, soweit die Zwangsmaßnahme zur Durchführung der HV geboten ist.
3. Gegen eine solche Maßnahme des Gerichts kann Beschwerde eingelegt werden.
4. Im Verfahren vor dem Strafrichter und vor dem Schöffengericht kann auf Antrag der StA ggf. auch jetzt noch ein Strafbefehl erlassen werden.
 

Rdn 450

 

Literaturhinweise:

Deckers/Kuschnik, Darf trotz Abwesenheit und Unkenntnis des Angeklagten nach § 408a StPO von der Hauptverhandlung in das Strafbefehlsverfahren gewechselt werden?, StraFo 2008, 418

Kudlich, Anmerkung zur Entscheidung des BGH vom 28.7.2010 – 1 StR 643/09, StV 2011, 211 – Zur Bedeutung der absoluten Revisionsgründe im Strafverfahren, StV 2011, 211

Martin, Freiheitsstrafe beim Ausbleiben des Angeklagten? Prozessuale Probleme des Strafbefehlsverfahrens nach dem Rechtspflegeentlastungsgesetz, GA 1995, 121 ff.

Meyer-Goßner, Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987, NJW 1987, 1161

Morgenstern, Der Anwesenheitsgrundsatz und die Sistierhaft nach § 230 StPO, JR 2016, 237

Rieß, Zweifelsfragen zum neuen Strafbefehlsverfahren, JR 1988, 133

Schellenberg, Der Strafbefehl nach § 408a StPO in der Praxis, NStZ 1994, 370

Zähres, Erlass eines Strafbefehls gem. § 408a StPO in der gem. § 408 III 2 StPO anberaumten Hauptverhandlung?, NStZ 2002, 296.

 

Rdn 451

1. Grds. besteht für die HV die → Anwesenheitspflicht des Angeklagten, Teil A Rdn 411, sodass nach § 230 Abs. 1 bei Ausbleiben des Angeklagten eine HV nicht stattfindet.

 

☆ Das unentschuldigte Ausbleiben des Angeklagten in der HV macht nicht nur einen schlechten Eindruck , sondern kann auch erhebliche rechtliche Nachteile für den Angeklagten zur Folge haben (s.u. Teil A Rdn  453 ), wie z.B. in der →  Berufung, Berufungshauptverhandlung , Teil B Rdn  722 , die →  Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines , Teil B Rdn  786 , oder die Verwerfung des Einspruchs im →  Strafbefehlsverfahren , Teil S Rdn  2981 . Deshalb muss der Verteidiger den Mandanten dazu anhalten, dass dieser zur HV erscheint. Ist er dennoch ausgeblieben, muss der Verteidiger, wenn er einen Vorführungs- oder Haftbefehl oder die Einspruchs-/Berufungsverwerfung verhindern will, prüfen , ob nicht die Voraussetzungen für eine →  Verhandlung ohne den Angeklagten , Teil V Rdn  3358 , vorliegen. Wenn er eine nachgewiesene Vollmacht des Angeklagten hat, kann er ggf. auch jetzt noch beantragen , den Angeklagten vertreten zu dürfen (§ 234; →  Verteidiger , Vertretung des Angeklagten , Teil V Rdn  3808 ) oder ihn vom Erscheinen in der HV zu entbinden (§ 233; →  Entbindung des Angeklagten vom Erscheinen in der Hauptverhandlung , Teil E Rdn  1714 ).schlechten Eindruck, sondern kann auch erhebliche rechtliche Nachteile für den Angeklagten zur Folge haben (s.u. Teil A Rdn 453), wie z.B. in der → Berufung, Berufungshauptverhandlung, Teil B Rdn 722, die → Berufung, Verwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, Allgemeines, Teil B Rdn 786, oder die Verwerfung des Einspruchs im → Strafbefehlsverfahren, Teil S Rdn 2981. Deshalb muss der Verteidiger den Mandanten dazu anhalten, dass dieser zur HV erscheint. Ist er dennoch ausgeblieben, muss der Verteidiger, wenn er einen Vorführungs- oder Haftbefehl oder die Einspruchs-/Berufungsverwerfung verhindern will, prüfen, ob nicht die Voraussetzungen für eine → Verhandlung ohne den Angeklagten, Teil V Rdn 3358, vorliegen. Wenn er eine nachgewiesene Vollmacht des Angeklagten hat, kann er ggf. auch jetzt noch beantragen, den Angeklagten vertreten zu dürfen (§ 234; → Verteidiger, Vertretung des Angeklagten, Teil V Rdn 3808) oder ihn vom Erscheinen in der HV zu entbinden (§ 233; → Entbindung des Angeklagten vom Erscheinen in der Hauptverhandlung, Teil E Rdn 1714).

 

Rdn 452

2. Ausgeblieben ist der Angeklagte in der HV nicht nur, wenn er beim Aufruf der Sache (→ Gang der Hauptverhandlung, Aufruf der Sache, Teil G Rdn 1946) körperlich nicht anwesend ist, sondern auch dann, wenn er zwar anwesend, seine Verhandlungsfähigkeit aber nicht gegeben ist (BGHSt 23, 331, 334 m.w.N. [für schuldhafte Trunkenheit]; BGH StV 1982, 153; OLG Frankfurt am Main NJW 2005, 2169; s.a. LG Zweibrücken NJW 1996, 737 [auch zur Frage des Erlasses eines Vorführungs- bzw. Haftbefehls]) oder er seine Anwesenheit nicht zu erkennen gibt. Ist der Angeklagte nur bedingt verhandlungsfähig, muss das Gericht, wenn es die HV durchführen will, diese so gestalten, dass der Angeklagte ihr folgen kann (s. → Verhandlungsfähigkeit, Allgemeines, Teil V Rdn 3384). Hat das Gericht Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit, gilt nicht der Grundsatz "in dubio pro reo"; die HV darf aber nicht durchgeführt werden (BGH NStZ 1984, 520; KK-Gmel, § 230 Rn 3). Ausgeblieben i.S.d. § 230 ist der Angeklagte auch, wenn er sich aus der HV entfernt oder zu einem Fortsetzungstermin nicht erscheint (Meyer...

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