Leitsatz
Hat die Erblasserin über ihr gesamtes Vermögen, einerseits ein Hausgrundstück und andererseits Geldvermögen, verfügt, so sind die bedachten Personen sämtlich als Erben anzusehen, wenn der Wert des jeweils Hinterlassenen für jeden Erben nahezu gleich hoch ist.
Hat die Erblasserin die Verteilung des Nachlasses nach Stämmen vorgenommen und anstelle einer Vorverstorbenen bereits deren Abkömmling bedacht, so ist von einer Ersatzerbeinsetzung auch der übrigen Abkömmlinge bedachter Geschwister auszugehen.
Sachverhalt
Die ledige und kinderlose Erblasserin hatte vier Schwestern. Eine Schwester war bereits vor der Testamentserrichtung vorverstorben. Zwei weitere Schwestern sind nach der Testamentserrichtung vor der Erblasserin verstorben. Die Erblasserin bestimmte, dass ihr Haus, welches einen Wert von ca. 223.000 € hatte, auf die Nichte und ersatzweise auf deren Tochter übergehen sollte. Die Geldersparnisse sollten auf die Geschwister zu gleichen Teilen übergehen; anstelle der vor Testamentserrichtung verstorbenen Schwester sollte deren Sohn erben. Das Nachlassgericht ging von einem hinterlassenen Geldvermögen von ca. 153.000 € aus und erteilte der Nichte einen Alleinerbschein. Im Nachhinein stellte sich jedoch heraus, dass die Erblasserin ca. 770.000 € hinterlassen hatte.
Die Geschwister und deren Nachkömmlinge beantragten nunmehr die Erteilung eines Erbscheins an sich und vertraten die Ansicht, bei der Zuwendung des Hauses an die Nichte handele es sich um ein bloßes Vermächtnis, wohingegen sie Miterben geworden seien.
Entscheidung
Die vorzunehmende Testamentsauslegung führte das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Erblasserin von deren Nichte, den drei verbliebenen Schwestern und dem Sohn der vorverstorbenen Schwester beerbt worden ist, wobei anstelle der zwischen Testamentserrichtung und dem Tod der Erblasserin verstorbenen Schwestern ersatzweise deren Abkömmlinge die Erbfolge antreten.
Dabei sind die jeweiligen "Stämme" als Erben zu je 1/5 eingesetzt. Das hinterlassene Gesamtvermögen beträgt ca. 1 Mio. €. Angesichts dieser Wertverhältnisse ist es verfehlt, die Hauserbin als Alleinerbin anzusehen und übrigen als Vermächtnisnehmer. Ebenso wenig ist die Nichte bloße Vermächtnisnehmerin, da ihr Anteil den Erbteil der übrigen Beteiligten wertmäßig ein wenig übersteigt. Dieser Hintergrund legt eine Erbenstellung aller Bedachten nahe.
Die Zuweisung des Hausgrundstücks stellt nicht eine bloße Teilungsanordnung, sondern ein Vorausvermächtnis i.S.d. § 2150 BGB dar, denn die Nichte ist kraft testamentarischer Anordnung auch nicht zum Ausgleich an die Miterben verpflichtet.
Schließlich ergibt die Auslegung, dass die Erblasserin für den Fall des Vorversterbens ihrer Schwestern ersatzweise deren Kinder als Erben bestimmen wollte. Gemäß § 2099 BGB geht das Recht des Ersatzerben aus § 2096 BGB auch der Anwachsung nach § 2094 BGB vor. Ein starkes Indiz für die Ersatzerbenregelung ergibt sich zudem aus dem Umstand, dass die Erblasserin anstelle der vorverstorbenen Schwester bereits deren Sohn zum Erben bestimmt hat.
Link zur Entscheidung
OLG München, Beschluss vom 21.05.2007, 31 Wx 120/06