1 Leitsatz
Wollen die Wohnungseigentümer gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügen soll, muss dies in dem entsprechenden Beschluss hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht werden.
2 Normenkette
§ 23 Abs. 3 Satz 2 WEG
3 Das Problem
Die Wohnungseigentümer beschließen am 26.7.2022 wie folgt: "Da die Jahresabrechnung 2021 zum Versand der Einladung noch nicht vollständig war, soll diese nachträglich durch einen Umlaufbeschluss mit folgendem Wortlaut beschlossen werden: Die sich aus den Einzelabrechnungen 2021 (vom 21.6.2022) für Wohnungen und Tiefgaragenstellplatz ergebenden Nachschüsse (= Nachzahlung) in Gegenüberstellung zu den Vorschüssen (= Guthaben) aus den gültigen Einzelwirtschaftsplänen, werden genehmigt. Der daraus resultierende Saldenausgleich wird vier Wochen nach Beschlussfassung fällig gestellt."
Mit Schreiben vom 3.11.2022, dem die Einzelabrechnungen 2021 mit Druckdatum 28.10.2022 beigefügt sind, wird der folgende Beschluss zur Abstimmung gestellt: "Die sich aus den Einzelabrechnungen 2021 (vom 21.6.2022) für Wohnungen und Tiefgaragenstellplatz ergebenden Nachschüsse (= Nachzahlung) in Gegenüberstellung zu den Vorschüssen (= Guthaben) aus den gültigen Einzelwirtschaftsplänen werden genehmigt. Der daraus resultierende Saldenausgleich wird vier Wochen nach Beschlussfassung fällig gestellt."
Die Verwaltung bittet die Wohnungseigentümer, ihre Stimmabgabe bis spätestens 16.11.2022 zurückzusenden. Mit Schreiben vom 21.12.2022 verkündet die Verwaltung die Annahme des Beschlusses. Gegen diesen Beschluss wendet sich Wohnungseigentümer K. Er ist der Ansicht, der verkündete Beschluss sei nichtig. Begründung: Es gebe keinen Absenkungsbeschluss! Der Beschluss sei im Übrigen rechtswidrig, weil keine angemessene Frist zur Abstimmung gesetzt worden sei und er gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße, da aufgrund unterschiedlicher Druckdaten unklar gewesen sei, über welche Abrechnung abgestimmt worden sei.
4 Die Entscheidung
Die Klage hat Erfolg! Das AG meint, der Beschluss sei nichtig. Denn der am 26.7.2022 zu TOP 5 gefasste Beschluss könne nicht als Absenkungsbeschluss ausgelegt werden. Wollten die Wohnungseigentümer gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügen solle, müsse dies in dem entsprechenden Beschluss hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht werden (Hinweis u. a. auf AG Stuttgart, Urteil v. 5.8.2022, 59 C 616/22 WEG). Daran fehle es hier. Im Übrigen sei umstritten, ob bei Fehlen eines Absenkungsbeschlusses der anschließende Beschluss nichtig oder lediglich anfechtbar sei. Teilweise werde vertreten, es komme überhaupt kein Beschluss zustande (Hinweis u. a. auf LG Bremen, Urteil v. 2.10.2020, 4 S 188/19, ZWE 2021,168, 170). Teilweise werde angenommen, der Beschluss sei wegen fehlender Beschlusskompetenz nichtig (Hinweis u. a. auf AG Stuttgart, Urteil v. 5.8.2022, 59 C 616/22 WEG). Teilweise werde vertreten, die Nichtigkeitsfolge sei zu weitgehend (Hinweis u. a. auf Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl. 2023, § 23 Rn. 242). Das Gericht schließe sich der Auffassung an, wonach – jedenfalls bei Fehlen eines Absenkungsbeschlusses – der mehrheitlich außerhalb der Versammlung gefasste Beschluss wegen fehlender Beschlusskompetenz nichtig sei. Denn ohne vorherigen Absenkungsbeschluss sei der Weg zu einem Mehrheitsbeschluss nicht eröffnet, weshalb ein gleichwohl nur mehrheitlich gefasster Umlaufbeschluss nichtig sein müsse.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall stellt sich vor allem die Frage, wie man einen Absenkungs-Beschluss fasst, damit er einer ordnungsmäßigen Verwaltung entspricht.
Beschlussfassung
Nach herrschender Meinung soll bei einem Absenkungs-Beschluss ausdrücklich bestimmt werden müssen, dass für den Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügen soll. Überzeugend ist das nicht. Der Beschluss muss nur seinen Gegenstand benennen. Welche Mehrheit er erreichen muss, bestimmt nach einer Auslegung § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG. Dennoch sollten die Verwaltungen aus Gründen der Vorsicht der herrschender Meinung folgen.
Frist zur Stimmabgabe
Das Gesetz schreibt nicht vor, den Wohnungseigentümern für die Stimmabgabe für einen Beschluss, der außerhalb der Versammlung gefasst werden soll, eine Frist zu setzen. Die Fristsetzung ist üblich und wegen § 147 Abs. 2 BGB, wonach der einem Abwesenden gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden kann, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf, sinnvoll. Außerdem muss die Verwaltung wissen, bis wann sie mit dem Eingang von Stimmabgaben rechnen kann. Ohne Fristsetzung droht die Gefahr, zu früh festzustellen, ob die erforderliche Stimmenanzahl erreicht ist.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Bei einem Absenkungs-Beschluss muss für jedermann wenigstens nach einer Auslegung klar sein, was der Gegenstand des Beschlusses nach § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG sein soll. Im seltenen Einzelfall reicht dazu wie bei § 23 Abs. 2 WEG ein Schlagwort. B...