Leitsatz (amtlich)
1. Bei der ergänzenden Testamentsauslegung ist zunächst eine unbewusste, planwidrige Lücke in der Willensbildung zu ermitteln. Danach ist der hypothetische Wille festzustellen und schließlich muss wegen der Einhaltung der Formvorschriften feststehen, dass dieser hypothetische Wille einen Niederschlag in der Urkunde gefunden hat (sog. Andeutungstheorie).
2. Die unbewusste, planwidrige Lücke wird durch erläuternde Auslegung festgestellt, wobei hinsichtlich der unbewussten Planwidrigkeit der mutmaßliche Wille zum Tragen kommt, falls sich der wirkliche Wille nicht ermitteln lässt.
3. Bei der ergänzenden Testamentsauslegung genügt es anders als bei der erläuternden Testamentsauslegung, wenn das Ziel, nicht aber das Mittel oder der Weg in der auszulegenden Verfügung irgendwie zum Ausdruck kommen, weil es gerade um die Ergänzung einer Lücke geht.
4. Werden in einem notariellen Testament Ersatzerben bestimmt und sind sowohl der Erbe als auch die Ersatzerben vorverstorben, so kann im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung die Ehefrau des Erben als Ersatzerbin zum Zuge kommen. Dem steht nicht die Anordnung in dem Testament "Weiter bestimmen wird heute nichts" entgegen, weil diese Formulierung nicht ohne weiteres bedeutet, dass eine bewusste Lücke bei Wegfall des Erben und der Ersatzerben vorliegt.
Tenor
1.
Die Tatsachen, die zur Erteilung des am 12.01.2012 beantragten Erbscheins erforderlich sind, werden für festgestellt erachtet.
2.
Die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses wird ausgesetzt.
3.
Die Erteilung des beantragten Erbscheins, wonach die Beteiligte zu 1 Alleinerbin ist, wird bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückgestellt.
4.
Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 6 vom 28.07.2011 und die Erbscheinsanträge der Beteiligten zu 2 und 3 vom 09.05.2012 werden zurückgewiesen
5.
Eine Kostenentscheidung nach § 81 FamFG ist nicht veranlasst, so dass sich die Kostentragungspflicht nach der KostO richtet.
Gründe
I.
Die Erblasserin war deutsche Staatsangehörige und zuletzt in Augsburg wohnhaft. Sie war seit 1999 verwitwet (VI 1184/99 AG Augsburg). Ihr Sohn (= angenommen von ihrem Ehemann) ist ohne Hinterlassung von Abkömmlingen 2008 vorverstorben (VI 0269/08 AG Augsburg). Die Beteiligte zu 1 war dessen Ehefrau. Die Eltern und die drei Geschwister sind bereits vorverstorben. Die Beteiligte zu 2 bis 4 sind die Kinder der 2010 vorverstorbenen Zwillingsschwester der Erblasserin .... Die Beteiligten zu 5 bis 6 und 8 sind die Kinder des 2006 vorverstorbenen Bruders der Erblasserin .... Dieser Bruder hatte eine weitere Tochter ..., deren einziger Abkömmling die Beteiligte zu 7 ist. Der Bruder der Erblasserin ...ist 1956/1957 vorverstorben. Seine einzigen Abkömmlinge sind der Beteiligte zu 12 sowie der 2006 vorverstorbene ..., dessen Kinder die Beteiligten zu 9 bis 11 sind.
Die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann schlossen am 08.04.1975 einen notariellen Erbvertrag (Bl. 6/8), in dem sie in einseitig unwiderruflicher Weise sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten und einen Schlusserben bestimmten. Diesbezüglich findet sich unter Ziffer II im Erbvertrag folgende Regelung:
II.
Im Wege des Erbvertrages, also in einseitig unwiderruflicher Weise ....
......
(3) Für den zweiten Sterbefall setzen wir heute schon unseren einzigen Sohn ..................zum alleinigen Erben ein.
Zu Ersatzerben bestimmen wir seine Abkömmlinge zu unter sich gleichen Teilen.
(4) Weiter bestimmen wir heute nichts.
Ein nicht datiertes und nicht unterschriebenes Schriftstück der Erblasserin (Bl. 51) lautet wie folgt:
Mein Testament
Nach meinem Tot ist:
Meine Schwiegertochter ....................meine einzige Erbin von all meinem Besitz. Mein Wunsch ist das Sie unser Grab pflegt und hl. Messen lesen lässt
Wegen eines Krankenhausaufenthaltes erteilte die Erblasserin ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter am 02.02.2002 schriftlich Vollmacht bezüglich der Konten bei der Stadtsparkasse (Bl. 52). Am 26.11.2009 erteilte die Erblasserin für ein Sparkonto der beteiligten Vollmacht über den Tod hinaus (Bl. 53).
Die Beteiligte zu 6 hat am 28.07.2011 aufgrund gesetzlicher Erbfolge einen Erbschein beantragt,
der als Miterben den Beteiligten zu 12 zu 1/6, die Beteiligten zu 9 bis 11 zu je 1/18, die Beteiligten zu 2 bis 4 zu je 1/9 und die Beteiligten zu 5 bis 6 sowie 8 und die ... zu je 1/12 ausweist (Bl. 34/36). Einen gleichlautenden Erbscheinsantrag haben die Beteiligten zu 2 und 3 mit Schriftsatz vom 09.05.2012 gestellt (Bl. 97).
... hat die Erbschaft am 02.09.2011 ausgeschlagen (Bl. 55).
Am 12.01.2012 hat die Beteiligte zu 1 einen Erbschein beantragt,
der sie als Alleinerbin aufgrund des Erbvertrages vom 08.04.1975 ausweist (Bl. 72/73).
Mündlich angehört bzw. vernommen worden sind die Beteiligten zu 1 bis 3 (Bl. 80 Rs./81, 92/93) und die Zeugen ..., ... sowie ... (Bl. 81/82).
II.
Der Beteiligte zu 1 ist Alleinerbin aufgrund des notariellen Erbvertrages vom 08.04.1975 (§ 1941 BGB), so dass gesetzliche Erbfolge ausscheidet. Derzeit müsste der Erbscheinsantrag ...